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JURIDICA INTERNATIONAL. LAW REVIEW. UNIVERSITY OF TARTU (1632)

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Media of Law and Legal Science

XVII/2010
ISBN 978-9985-870-27-3

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Die Rolle der juristischen Zeitschriftenliteratur bei der Harmonisierung des Privatrechts in Europa

1. Einleitung

Mir ist die Aufgabe zugedacht, über die Rolle der juristischen Zeitschriftenliteratur bei der Harmonisierung des Privatrechts in Europa zu sprechen. Ich hätte es besser wissen müssen, aber wahr ist, dass mir, als ich die Einladung annahm, keineswegs klar war, dass sich hinter diesem Thema eine nicht geringe Herausforderung verbirgt. Heute muss ich gestehen, dass es mir in der kurzen Vorbereitungszeit für meinen Vortrag nicht möglich gewesen ist, mich der mir zugedachten Aufgabe in angemessener Weise zu stellen. Ich hätte es mir zwar einfach machen können, indem ich sage, was vielleicht sogar von mir erwartet wird: dass nämlich die Rolle der juristischen Zeitschriften bei der Angleichung des Privatrechts in Europa groß und wichtig sei. Aber das erschien mir dann doch zu banal – mit der Folge, dass ich mich plötzlich mit einem ebenso interessanten wie umfangreichen Fragenkatalog konfrontiert sah. Verstehe ich das Thema richtig, dann geht es nämlich (i) um eine Ermittlung des Europäisierungsgrades der rechtswissenschaftlichen Zeitschriften in der Europäischen Union, (ii) um eine vergleichende Bewertung des so erhobenen Befundes und (iii) um eine Einschätzung der wissenschaftlichen und der rechtspolitischen Wirkmächtigkeit von Zeitschriftenaufsätzen zu unserem Generalthema, der Privatrechtsangleichung in Europa. Zu diesen drei Fragenkreisen kann ich indes nicht viel mehr als einige erste Beobachtungen beisteuern. Methodisch valide Aussagen hätten einer breiteren Erhebungsbasis als der bedurft, die ich mir habe erarbeiten können.

2. Zahlen

Wie viele rechtswissenschaftliche Zeitschriften es derzeit gibt, scheint niemand auch nur annähernd verlässlich sagen zu können. Die Datenlage ist außerordentlich unbefriedigend. Das hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass Juristen unter einer juristischen „Zeitschrift“ meistens etwas anders verstehen als Bibliothekare. Letztere zählen in aller Regel auch Entscheidungssammlungen, Gesetzblätter, Jahrbücher, ja manchmal selbst Loseblattsammlungen und Fortsetzungswerke anderer Art zu den „Zeitschriften“. Wir Juristen verstehen unter einer „juristischen Zeitschrift“ dagegen ein regelmäßig erscheinendes Publikationsorgan für rechtswissenschaftliche und rechtspolitische Aufsätze. Dass man den Begriff des rechts ‚wissenschaftlichen‘ Aufsatzes verhältnismäßig weit fassen muss, ändert daran nichts. Die Zeiten, in denen ein Autor seine Erkennntnisse veröffentlichte, weil er glaubte, etwas Neues gefunden zu haben, scheinen in manchen Ländern Europas allmählich einer Kultur zu weichen, in der Autoren den Schritt in die Öffentlichkeit schon dann suchen, wenn sie glauben, etwas verstanden zu haben!

Die Zeitschriftendatenbank der zur Stiftung preußischer Kulturbesitz gehörenden Staatsbibliothek in Berlin (die ZDB *1 ), eine der größten Datenbanken für Titel- und Besitznachweise fortlaufender Sammelwerke, verzeichnet mehr als 1,5 Mio. Titel in den meisten Sprachen der Erde. Nachgewiesen sind die gedruckten und elektronischen Zeitschriftenbestände deutscher und österreichischer Bibliotheken seit dem Jahre 1500. Diese Datenbank ist damit zwar umfassend und zuverlässig – für die Beantwortung der Frage, wieviele juristische Zeitschriften es auf der Welt (oder wenigstens in Europa oder in Deutschland) gibt, aber nicht wirklich hilfreich. Zwar kann man in ihr nach Fachgebieten und Unterfachgebieten selektieren. Aber die Datenbank enthält eben nicht nur juristische Fachzeitschriften im engeren Sinn, sondern Titel- und Besitznachweise zu allem, was irgendwie mit Recht in Verbindung gebracht werden kann, und sie kommt so allein für Deutschland auf die exorbitante Zahl von 15.689 Titeln, davon 4.765, die dem Privatrecht zugerechnet werden könnten. Weltweit verzeichnet sie 86.069 juristische Sammelwerke. Aber was hat man schon von dieser Information, wenn man weiß, dass auch der Haushaltsplan der Stadt Berlin und die „Informationen des Personalamtes der Stadt Mainz“ in der Datenbank nachgewiesen sind!

Ich musste also andere Wege beschreiten und mich mit Schätzwerten begnügen. Die Rechtsbibliographie Kuselit *2 verzeichnet für Deutschland 789 aktuelle juristische Zeitschriften, wertet allerdings – wenngleich in geringer Zahl – auch historische, politische, wirtschaftswissenschaftliche und soziologische Zeitschriften aus. Der bibliothekarische Dienst meiner Universität *3 schätzt deshalb auf dieser Grundlage die Zahl der deutschen rechtswissenschaftlichen Zeitschriften auf ca. 700; etwa ein gutes Drittel von ihnen soll sich zumindest auch mit privatrechtlichen Themen befassen. Die Zahl der deutschsprachigen juristischen Zeitschriften (d.h. unter Einrechnung Österreichs, der Schweiz und Liechtensteins) liegt natürlich noch etwas höher, vielleicht bei insgesamt 850.

Im Vereinigten Königreich soll es nach einer schon etwas älteren Erhebung der Universität Warwick im Jahre 1998 194 rechtswissenschaftliche Zeitschriften gegeben haben *4 ; rechnen wir also heute mit ca. 200. Der Portugalreferent unseres Osnabrücker Instituts zählt für sein Land 50 im heutigen Buchhandel erhältliche juristische Fachzeitschriften *5 , der Italienreferent gleich das Neunfache, nämlich 453. *6 Die entsprechende Recherche für Irland ergab 32 Titel, incl. der nordirischen Zeitschriften *7 , diejenige für Griechenland 62 *8 , diejenige für Ungarn 102 *9 , diejenige für Belgien die erstaunliche Zahl 226 *10 und eine datenbankgestützte Recherche für Polen insgesamt 297 Titel. Zusammen mit den dort nicht erfassten Zeitschriften dürfte sich für Polen eine Gesamtzahl von ca. 350 juristischen Fachzeitschriften ergeben. *11 Weitere Zahlen habe ich leider nicht ermitteln können. Für Frankreich und Spanien muss man noch einmal mit großen, in den übrigen Ländern dagegen mit geringeren Zahlen rechnen. Eine verlässliche Hochrechnung auf die Staaten der Europäischen Union ist mir gleichwohl nicht möglich gewesen. Wenn man eine Größenordnung haben will, wird man vielleicht mit einer Zahl um die 4.000 nicht völlig falsch liegen. Das entspräche einer juristischen Fachzeitschrift auf etwa 125.000 Unionsbürger. Europa, das jedenfalls lässt sich sagen, hat einen enormen ‚output‘ an juristischen Publikationen.

3. Arten und Veränderungen

Aus der großen Menge rechtswissenschaftlicher Zeitschriften sind für unsere Zwecke allerdings nur einige wenige wirklich relevant. Zwar befasst man sich in vielen Ländern der Welt auch mit Fragen der Rechtsangleichung in Europa, in China, Japan, Korea, Russland und Südafrika z. B., und in einigen dieser Länder finden sich sogar spezielle Zeitschriften zu unserem Thema, etwa das Moskauer European Legal Cultures und das auch in Europa nicht ganz selten zitierte Tulane European and Civil Law Forum. Fragen der Rechtsangleichung in Europa werden außerdem natürlich auch von den allgemeinen Zeitschriften zur Rechtsvergleichung aufgegriffen, u.a. von dem American Journal of Comparative Law und dem Electronic Journal of Comparative Law. Die in den außereuropäischen Ländern veröffentlichten Zeitschriftenbeiträge sind freilich ihrer Zwecksetzung gemäß oft doch mehr beschreibender als analytischer Natur. Sie stellen der jeweiligen nationalen Leserschaft vor, was in Europa geschieht. Aufsätze, mit denen sich ein Autor unmittelbar in die hier laufenden Debatten einschalten will, veröffentlicht er dort also besser nicht.

Aber auch in Europa, genauer: in den Ländern der Europäischen Union, bleibt die Zahl der für unser Thema relevanten Zeitschriften letztlich doch überschaubar. Die zahlreichen Titel zum öffentlichen Recht und zum Strafrecht scheiden von vornherein aus der Betrachtung aus, nicht freilich die oft bemerkenswert weltoffenen Zeitschriften zum Arbeits- und Sozialrecht, und auch nicht diejenigen zum Recht des Geistigen Eigentums, des Gesellschafts- und des sonstigen Wirtschaftsrechts. In der Natur der Sache liegt es, dass die durchaus umfangreiche Zeitschriftenliteratur zum Internationalen Privatrecht und zum internationalen Zivilverfahrensrecht eine kontinuierlich steigende Zahl von Beiträgen zu gemeinschaftsrechtlich überlagerten Fragen bringt: Große Teile dieser Materien sind eben längst schon reines Gemeinschaftsrechtrecht. Nur noch in Teilbereichen – dem Internationalen Familien- und dem Internationalen Erbrecht z. B. – geht es hier noch um rechtspolitisch streitige Angleichungsfragen; alles andere ist bereits angeglichen und wird deshalb schriftstellerisch nicht anders als „ganz normales“ innerstaatliches Recht begleitet und dogmatisch überformt. Generell sind die Liebhaber des Internationalen Privatrechts aber sozusagen die „natürlichen Gegner“ der Angleichung des materiellen Rechts. Letztere wird als Gefahr für die Artenvielfalt im Garten des Kollisionsrechts begriffen. Zeitschriften wie der weltberühmten Revue critique de droit international privé werden deshalb typischerweise Artikel angeboten, welche den Prozess der Angleichung des europäischen Vertragsrechts als überflüssig und unerwünscht „entlarven“. *12

In der europäischen Zeitschriftenlandschaft haben sich in den vergangenen Jahren einige signifikante Veränderungen zugetragen. Bemerkenswert ist zunächst das Auftauchen zahlreicher elektronischer Publikationsformen. Man findet sie heute in nahezu allen Mitgliedstaaten. Soweit es um darin veröffentlichte Aufsätze geht, scheint mir ihr Einfluss auf aktuelle Debatten zwar noch vergleichsweise gering zu sein; die wirkmächtige deutsche Kommentarliteratur z. B. nimmt von dieser Form des Publizierens ebensowenig Notiz wie die geradezu überbordende Ausbildungsliteratur.

Die elektronischen Publikationsformen sind aber dort auf dem Vormarsch, wo es sich um die Veröffentlichung von Gerichtsentscheidungen handelt, und das kann wiederum dramatische Rückwirkungen auf die rechtswissenschaftliche Aufsatzkultur haben. So sind z. B. das portugiesische Boletim do Ministério da Justica (BMJ) vollständig und die Colectânea de Jurisprudência bzw. die Colectânea de Jurisprudência do Supremo Tribunal jedenfalls als Printmedien *13 eingestellt worden, weil das Justizministerium eine umfassende Rechtsprechungsdatenbank im Internet verfügbar gemacht hat. *14 Das BMJ ist damit auch als Plattform für juristische Debatten weggefallen. Es war zeitweilig die vermutlich wichtigste Rechtszeitschrift Portugals. Vaz Serra hat in ihr alle seine (durchweg rechtsvergleichend angelegten) Studien im Vorfeld der Kodifikation des Jahres 1965 veröffentlicht; an der Debatte um den CFR und die weitere Europäisierung des Privatrechts hat das BMJ nun keinen Teil mehr.

Von Land zu Land unterschiedlich kann die Veröffentlichungskultur aber auch noch in anderer Beziehung sein. Es gibt Länder, in denen jede Rechtsfakultät, die etwas auf sich hält, eine eigene Zeitschrift herausgibt (in dem eben erwähnten Portugal sind das z. B. Coimbra, Porto und die beiden Lissaboner Fakultäten), es gibt Länder, in denen wenigstens einige herausragende Fakultäten eigene Zeitschriften veröffentlichen (z. B. Cambridge, Prag und Oxford), und es gibt Länder, in denen so etwas völlig unüblich ist (wie z. B. in Frankreich und Deutschland).

Die für unser Thema wichtigste Veränderung in der europäischen Zeitschriftenlandschaft dürfte aber das Auftauchen einer großen Zahl von Zeitschriften zum europäischen Recht sein, oft speziell zum europäischen Privatrecht oder sogar zu einem seiner Teilgebiete, etwa dem europäischen Gesellschaftsrecht *15 oder dem europäischen Vertragsrecht, letzteres z. B. in Gestalt der in Berlin erscheinenden European Review of Contract Law (ERCL). *16 Die in ihnen veröffentlichten Beiträge stellen so etwas wie die Speerspitze der gesamteuropäischen Diskussion dar. Sie bringen entweder vergleichende Studien zum Recht einzelner Mitgliedstaaten oder Analysen von Rechtssetzungsprojekten auf Gemeinschaftsebene bzw. von Urteilen der europäischen Gerichte. Selbst die Autoren eines kleinen Landes wie Estland können sich auf diese Weise – in ihrem Fall mit der Juridica International – europaweit Gehör verschaffen. Ein ebenfalls eher kleines Land wie Ungarn verfügt gleich über vier Zeitschriften, die sich auf das Recht der bzw. innerhalb der Europäischen Union konzentrieren *17 , Portugal *18 und Griechenland *19 , wenn man die Zeitschriften für Rechtsvergleichung mit hinzurechnet, über drei, und auch Irland hat sein Irish Journal of European Law.

Vielleicht trete ich aber niemandem zunahe, wenn ich die These wage, dass die für die Europäisierung des Privatrechts vermutlich wichtigsten Zeitschriften derzeit in Deutschland, Italien und den Niederlanden erscheinen. Ganz auf unser Thema ausgerichtet sind in Deutschland neben der Zeitschrift für Gemeinschaftsprivatrecht (GPR) vor allem die einflussreiche Zeitschrift für Europäisches Privatrecht (ZEuP), in Italien Europa e diritto privato und in den Niederlanden die dortige Konkurrentin der ZEuP, die European Review of Private Law (ERPL). Besonderer Hervorhebung bedarf ferner das Maastricht Journal of European and Comparative Law. Die vorerwähnte ZEuP hat es in einem deutschen „Ranking juristischer Fachzeitschriften“ sogar auf den 13. Platz gebracht. Die Siegerin dieses Rankings, die Tübinger Juristenzeitung, war so vornehm – und hat dadurch ihren Ruf nur noch vermehrt –, es nicht in ihrem Hauptteil, sondern in dem gewöhnlich nicht zum Binden vorgesehenen Teil mit den Sternchenseitenzahlen abzudrucken. *20 Die Autoren des Rankings bemerken darin, dass ihre Befragten zwar immerhin 31 ausländische Zeitschriften zur Aufnahme in die Liste vorgeschlagen hätten, keine von ihnen jedoch zureichend oft benannt worden sei, um berücksichtigt werden zu können. Die meisten Nennungen hätte noch die Common Market Law Review erzielt. *21

Die großen, klassischen Zeitschriften zur Rechtsvergleichung haben ihre allgemeine Ausrichtung zwar beibehalten, sich aber doch in erheblichem Maße auch des Themas der europäischen Privatrechtsangleichung angenommen. Rabels Zeitschrift für ausländischen und internationals Privatrecht (RabelsZ) gehört z. B. in diese Kategorie, aber natürlich auch die belgische Revue de droit international et de droit comparé, in der vor kurzem eine größere kritische Studie zum DCFR erschienen ist. *22 Bemerkenswert ist aber vor allem der hohe Europäisierungsgrad einiger neuerer schuldrechtlicher Zeitschriften, also Zeitschriften, denen man vom Titel her kaum ansieht, welch intensive europäische Ausrichtung sie haben. Beispiele aus dieser Kategorie liefern die deutschsprachige Zeitschrift für das gesamte Schuldrecht und die französische Revue des contrats. Letztere hat soeben die zahlreichen Beiträge zu der Pariser Konferenz 2008 der französischen Ratspräsidentschaft zum (D)CFR veröffentlicht *23 , und sie wird Anfang 2010 auch die von Jacques Ghestin besorgte französische Übersetzung der model rules der ersten drei DCFR Bücher publizieren.

Eine großartige Informationsquelle über alle neueren Publikationen zur Rechtsangleichung in Europa sind die meisterhaft von Ewoud Hondius regelmäßig für die NTBR, die Nederlands Tijdschrift voor Burgerlijk Recht, verfassten Kronieken. In ihnen finden sich neben Monographien auch alle wichtigen Beiträge zu unserem Thema in den führenden Fachzeitschriften der lateinischen, der englischen und der deutsch-niederländischen Sprachenfamilien rezensiert. Reichhaltige bibliographische Hinweise finden sich laufend auch in der von Unidroit in Rom zweisprachig herausgegebenen Revue de droit uniforme/Uniform Law Review. Ihr Lieblingssujet sind natürlich weder die PECL noch der DCFR, sondern die PICC, die Unidroit Principles of International Commercial Contracts. Immerhin hat die Uniform Law Review soeben aber eine umfangreiche Synopse der Unidroit Principles und der entsprechenden model rules des DCFR herausgebracht. *24

4. Bedeutung und Einfluss

Die Diskussion um die Harmonisierung des Europäischen Privatrechts hat sich für geraume Zeit ganz überwiegend in Spezialzeitschriften abgespielt. Damit meine ich nicht so sehr Überblicks- und Einführungsartikel zu irgendeiner neuen Richtlinie oder Verordnung, sondern ich meine die Diskussion um die Principles of European Contract Law (PECL), den (D)CFR und das Optionale Instrument, d.h. die Diskussion um eine Angleichung der Kernmaterien des europäischen Obligationenrechts. In diesem Kontext sei erwähnt, dass auch die ersten Übersetzungen der hier erarbeiteten Modellregeln in die Sprachen, die nicht Arbeitssprachen der jeweiligen Forschergruppen waren, typischerweise in den genannten Spezialzeitschriften erschienen sind. Dazu gehören insbesondere die meisten PECL-Übersetzungen. *25 Die bislang vorliegenden Übersetzungen des DCFR sind dagegen bereits in allgemeineren Rechtszeitschriften erschienen. Neben der erwähnten französischen Übersetzung gilt das z. B. für die tschechische Übersetzung der Interim Outline Edition, die in der Karlovarská Právní Revuei, der Zeitschrift der Juristischen Fakultät der Prager Karlsuniversität, publiziert wurde. *26 Vielleicht ist das ein gutes Zeichen; die Europäisierung des Privatrechts beginnt, weitere Kreise anzusprechen.

Aufsätze in allgemeinen juristischen Zeitschriften (d.h. in Zeitschriften ohne besondere Spezialisierung) dringen wohl überall in Europa viel tiefer in das Bewusstsein der Fachöffentlichkeit ein als Beiträge in den genannten Spezialzeitschriften. Ich habe das am eigenen Leibe erlebt, nachdem plötzlich und ohne mein Wissen oder gar meine Genehmigung in den im Ausland eher unbekannten, in Frankreich aber viel gelesenen Annonces de la Seine eine Übersetzung eines von mir im Plenarsaal des Kassationshofes gehaltenen Vortrages über die Europäisierung des Schuldrechts erschienen war *27 ; meine These, dass modernes Schuldrecht die Zukunft nur gewinnen kann, wenn es europäisch ist, löste im Frankreich des Jahres 2002 zwar einen Sturm der Entrüstung aus *28 , aber sie wurde wenigstens wahrgenommen. Als Hans Schulte-Nölke und ich drei Jahre später die deutsche Fachöffentlichkeit über die Gründung des Exzellenznetzwerkes zum DCFR unterrichten wollten, war es auf unserer Seite des Rheins noch nicht einmal möglich, die auflagenstarke Neue Juristische Wochenschrift für das Thema zu interessieren; wir mussten in die weit weniger prominente Zeitschrift für Rechtspolitik ausweichen. *29 Kaum jemand wird unseren Aufsatz damals gelesen haben!

Inzwischen wenden sich allerdings auch die allgemeinen, „großen“ juristischen Zeitschriften dem Thema des Common Frame of Reference zu, selbst besagte Neue Juristische Wochenschrift. *30 Das ist für seine Verbreitung von ausschlaggebender Bedeutung. Juristen nehmen nicht gerne Texte in fremder Sprache zur Kenntnis; sie haben aus ihrer Sicht nicht „wirklich“ etwas mit Recht zu tun. Es ist deshalb ganz etwas anders, ob Ole Lando einen seiner zahlreichen Aufsätze in Deutschland, England oder Frankreich veröffentlicht, oder ob er auch einmal in seinem eigenen Lande, in dänischer Sprache und in der führenden Ugeskrift for Retsvæsen schreibt. *31 Erst im letzteren Fall erreicht die Botschaft auch die heimische Leserschaft. Ähnlich liegt es, wenn Sisula-Tulokas ihre Studien zum Deliktsrecht des DCFR in der führenden Tidskrift utgiven af Juridiska Föreningen i Finnland auf schwedisch veröffentlicht. *32

Juristen wissen zudem fein zwischen den verschiedenen Publikationsorganen zu unterscheiden. Welche Auflagenstärke das rumänische Buletinul de informare legislative hat, vermag ich zwar nicht zu beurteilen, aber ich bin mir sicher, dass einem Bericht wie dem von Vitca über den DCFR *33 auch und gerade deshalb besonderes Gewicht beigemessen wird, weil es sich bei dem Bulletin um das Informationsblatt des rumänischen Consiliul Legislativ, dem Gesetzgebungsrat des Landes, handelt und weil der Autor den für das Privatrecht zuständigen Bereich dieses Rates leitet.

Dem jeweiligen Veröffentlichungsorgan wohnen in der Wahrnehmung der Fachöffentlichkeit oft ein Seriositäts- und ein Relevanzindikator inne. Erst als das zunächst rein international betriebene Projekt der Study Group und der Acquis Group in dem würdigen Archiv für die civilistische Praxis erörtert wurde *34 , scheint es für die gesamte deutsche Zivilrechtswissenschaft zum Thema geworden zu sein, und ebenso wichtig war es für den DCFR, dass uns die Kwartalnik Prawa Prywatnego eine Plattform zur Vorstellung unserer Konzeption in polnischer Sprache gab. *35

Wenn man sich allerdings, als Gegner der DCFR-Bewegung, Alarm zu schlagen bemüßigt fühlte, dann musste die Auseinandersetzung in auch von „praktischen“ Juristen gelesene Zeitschriften getragen werden, also zum Beispiel in das niederländische Weekblad voor privaatrecht, notariaat en registratie *36 , in den französischen Recueil Dalloz *37 ,in die englische Law Quarterly Review *38 und in die deutsche Juristenzeitung. Wer sich kurzfristig einer Breitenwirkung versichern will, mache es wie mein Münchener Kollege Eidenmüller und seine Co-Autoren, publiziere in besagter Juristenzeitung *39 und sorge außerdem dafür, dass eine große Tageszeitung schon vor Erscheinen des Aufsatzes über ihn berichtet. *40 Thesen wie die, dass der DCFR die Vertragsfreiheit gefährde, setzen sich dann, wenn man kritisch ist und Glück hat, in einigen Zirkeln erst einmal fest, ganz gleich, ob der Vorwurf stimmt oder nicht. *41

Wie dem aber auch sei: der Umstand, dass sich die Arbeiten am DCFR spätestens seit 2008 ihren Weg auch in die „großen“ Fora des Privatrechts gebahnt haben, stellt einen Fortschritt dar. Er ist es auch deshalb, weil sich die Diskussion anfangs überwiegend nicht einmal in den Spezialzeitschriften (und schon gar nicht in der Gebrauchsliteratur) abgespielt hat, sondern in Tagungsbänden und Festschriften, also in den konkurrierenden Publikationsformen für juristische Aufsätze. Die große Zahl an Tagungsbänden zu unserem Thema erklärt sich aus dem Bedürfnis der Mitglieder der Forschergruppen, durch persönliche Kontakte und im unmittelbaren Gespräch mit Spezialisten Anregungen zu gewinnen und eine pro-europäische Stimmung für das Projekt zu erzeugen. Der schier unendlichen Fülle von Missverständnissen und Sorgen, so dachten viele von uns in den ersten Jahren, konnte, wenn überhaupt, nur durch den Versuch begegnet werden, Vertrauen zu schaffen. Aber genau da wuchs dann ungewollt auch ein Problem heran: die so entstandene Spezialliteratur blühte eben doch nur im Verborgenen, blieb einem schmalen Leserkreis vorbehalten und verschärfte das Gefühl vieler Juristen, ausgeschlossen zu sein.

Ähnlich lag (und liegt es teilweise noch immer) bei der Festschriftenliteratur. Den Redakteuren der juristischen Fachzeitschriften sind in den Festschriften bedeutende Konkurrenten erwachsen. Festschriften waren noch vor dreißig Jahren ein außerordentliches Ereignis; in manchen Ländern geradezu unbekannt oder so selten, dass ihre Übergabe mit der Übergabe eines Ehrendegens verknüpft wurde. Heute sind Festschriften für Professoren, die aus dem aktiven Dienst ausscheiden, etwas Alltägliches, manche Universitäten (wie z. B. Coimbra mit seinen Studia Iuridica) haben ganze Reihen zu dem Zweck gegründet, neben den Tagungsbänden auch der Festschriftenflut Herr zu werden. Festschriften finden sich heute überall in Europa, und da die Zahl der internationalen Kontakte seit der Gründung und den verschiedenen Beitrittswellen zu der Europäischen Union exorbitant zugenommen hat, man es als Ausländer dem Geehrten aber oft nicht zumuten will, ausschließlich über das eigene Recht zu schreiben, werden für Festschriften oft europäische oder rechtsvergleichende Themen gewählt.

5. Schluss

Dass nicht alles, was zum DCFR veröffentlicht worden ist, eine Antwort erheischt, liegt auf der Hand; außerdem war in der abschließenden Phase der Redaktion der sechsbändigen „full edition“ *42 – die meisten der zuvor erwähnten Zeitschriftenbeiträge stammen schließlich aus 2008 und 2009 – ein literarisches Eingehen auf sie gar nicht möglich. Insgesamt habe ich freilich ohnehin den Eindruck, dass manche Diskutanten, Befürworter wie Kritiker, die rechtspolitische Wirkmächtigkeit ihrer Beiträge überschätzen. Rechtswissenschaftler schreiben überwiegend für die eigene Zunft. „Stakeholder“ (oder Lobbyisten) dagegen lesen nach meiner Beobachtung nur einen geringen Ausschnitt aus dem großen Kreis der juristischen Fachzeitschriften, und über das Lektüreverhalten der politischen Entscheidungsträger kann ich nur Mutmaßungen anstellen. Sie nehmen wahrscheinlich eher Artikel in der allgemeinen Presse wahr (die es auch zum DCFR inzwischen zahlreich gibt), doch sind solche Artikel wie Strohfeuer: energiegeladen und schnell aufgezehrt.

Anders die Beiträge zu den juristischen Fachzeitschriften. Letztere sind die Transformationsriemen der Rechtsentwicklung, und Entwicklung des Privatrechts bedeutet heute Entwicklung eines Europäischen Privatrechts. Wir brauchen seine Vision, um zusammenzuführen, was zusammengehört. Mein Eindruck ist, dass sich die überwiegende Zahl der einschlägigen juristischen Fachzeitschriften dieser Verantwortung inzwischen bewusst geworden ist.

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pp.4-10