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JURIDICA INTERNATIONAL. LAW REVIEW. UNIVERSITY OF TARTU (1632)

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Media of Law and Legal Science

XVII/2010
ISBN 978-9985-870-27-3

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Über die Geschichte und Bedeutung von Oikeus als einer kritischen Zeitschrift

1. Einleitung

Nach dem modernen Verständnis der Gesellschaft und des Rechts sind Recht und Gesetze die wichtigsten Mittel der Steuerung der gesellschaftlichen Entwicklung, wobei man für das Herausfinden der richtigen gesellschaftlichen Zielsetzungen und Steuerungsmethoden die offenen politischen Diskussionen und die entsprechenden Fora braucht. Die wichtigsten Fora sind Parlament und Medien, also vor allem die Presse, d. h. Tageszeitungen und Zeitschriften. So war es allerdings noch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Heutzutage ist die Bedeutung des Fernsehens und des Internets erheblich gewachsen. Immerhin war es noch der allgemeine Hintergrund bei der Gründung der finnischen Rechtszeitschrift Oikeus (dt. „Das Recht“) im Jahr 1972.

Oikeus war explizit als ein neues Forum für kritische rechtspolitische Diskussionen gedacht, die man für notwendig in der gesellschaftlichen Situation nach dem Ende der 1960er Jahre hielt, wofür aber die vorhandenen konservativen juristischen Zeitschriften nicht so geeignet waren. Die Situation hatte sich nach den Ereignissen von 1968 in vielen europäischen Ländern (und auch in den Vereinigten Staaten) sehr verändert. Es gab radikale politische Bewegungen auch in Finnland und in finnischen Universitäten, die alle Institutionen des bürgerlichen Staats kritisierten, die soziale Reformen oder gar eine sozialistische Gesellschaft bzw. „echte Demokratie“ anstrebten. Die Modeideologien (also Marxismus und die Linken) sahen Recht und Rechtswissenschaft als Institutionen, die den altmodischen, bürgerlichen Staat repräsentierten und unterstützten und gerade deswegen als Institutionen ganz neu zu arrangieren waren. Allerdings waren die Motive für die Befürwortung der Neuerungen nicht nur parteipolitisch.

Ein weiteres wichtiges Element oder ein weiterer wichtiger Faktor neben dem Diskussionsbedarf waren die Veränderungen in der Wissenschafts- und Universitätspolitik. Seit dem 19. Jahrhundert war das Rechtsstudium in Finnland ein Monopol einer Fakultät, der in Helsinki gewesen. Während der 1960er und 1970er Jahre wurden aber als ein Teil der gesellschaftlichen Territorialpolitik viele neue Hochschulen in verschiedenen Städten des Landes gegründet, und so wurde nun auch die Juristenausbildung verbreitet. Man konnte seit den 1960er Jahren Jurist auch an der Universität zu Turku werden. Darüber hinaus wurde es möglich, das öffentliche Recht als Hauptfach in den Verwaltungsstudien in Tampere zu studieren.

Der dritte Faktor nach dem Diskussionsbedarf und Verbreitung der Juristenausbildung war die innere Entwicklung der Rechtswissenschaft. Einige Rechtswissenschaftler haben die zeitgenössische Rechtswissenschaft für methodisch veraltet und zu eng gesetzesdogmatisch gehalten, dies gerade im Vergleich zu anderen Gesellschaftswissenschaften (z. B. Soziologie und Staatswissenschaft), die die empirischen Methoden aktiv benutzten. Dazu kam die unter den meisten Juristen verbreitete Überzeugung, dass die Rechtswissenschaft wertungsfrei sei und sein sollte. Die neuen Radikalen wollten es anders sehen.

Den konkreten Kontext bei der Gründung von Oikeus bildeten die Diskussionen über das Justizwesen im Allgemeinen und über die Unabhängigkeit der Richter insbesondere. Auch der Staatspräsident Kekkonen nahm an dieser Diskussion durch ein Interview von 1970 teil. Ein Vorschlag des Staatspräsidenten war, dass die Richter Beamte auf Widerruf werden sollten, also befristet eingesetzt und der politischen Verantwortung unterworfen. Es gab einige Juristen, für die gerade diese Diskussionen und Streitfragen klar zeigten, dass es zu wenig Raum oder Fora für wirklich lebendige und aktuelle rechtspolitische Diskussionen gab. In dieser Situation gründete der Demokratische Juristenverein die neue Zeitschrift Oikeus, die er nach wie vor zusammen mit dem Rechts- und Gesellschaftswissenschaftlichen Verein herausgibt. Die einzige Veränderung besteht darin, dass der Demokratische Juristenverein seit 2002 Rechtspolitischer Verein Demla heißt. Die Vereinsmitglieder bekommen Oikeus gegen den Mitgliedsbeitrag. Man kann die Zeitschrift auch in einigen Buchhandlungen kaufen, aber es gibt immer noch keinen wirklichen Markt für die speziellen fachwissenschaftlichen Zeitschriften in Finnland. So wird die Herausgabe von Oikeus durch den Staat über den Pressezuschuss von der Akademie Finnlands unterstützt.

2. Vier Stationen in der Geschichte der Oikeus

Die juristischen Zeitschriften geben zwar nur einen Aspekt der Rechtspolitik wieder. Dennoch bilden die Zeitschriftenaufsätze und -beiträge eine interessante Stoffsammlung, worüber es nicht viele genauere Forschungen in Finnland gibt. Ich selbst habe einen längeren Artikel publiziert *1 über die Frauen als Rechtswissenschaftler und Autoren der vier bekanntesten finnischen juristischen Zeitschriften: Juridiska föreningens tidskrift (dt. „Zeitschrift des juristischen Vereins“; abgekürzt JFT, erscheint ab 1865), Lakimies (dt. „Der Jurist“, erscheint ab 1903), Defensor Legis (erscheint ab 1920) und Oikeus (dt. „Das Recht“, erscheint ab 1972). Hier geht es weiter nur um die jüngste Zeitschrift und diesmal etwas allgemeiner als nur um die Frauen. Es sei hier nur vermerkt, dass Oikeus zwar ein Organ war, in dem man die neuen Themen zunächst aufnahm, die dann aber nach einer Weile auch in den älteren Zeitschriften behandelt wurden. Allerdings war Oikeus gerade in der Geschlechtsperspektive den früheren Zeitschriften ganz ähnlich – auch hier dominierten in der Verfasserschaft lange die Männer.

Um hier ein Bild über die Geschichte von Oikeus zu skizzieren, nehme ich vier Jahrgänge unter näheren Betracht, die meiner Meinung nach kennzeichnend sind, um die wichtigsten wiederkehrenden und neuen Themen zu präsentieren, die Oikeus durch die Jahrzehnte behandelt hat. Beginnend mit dem ersten Heft vom 1972 über die Jahre 1982, 1992 bis 2007 hinaus ist es um die Rechtspolitik gegangen. Die Fragen bestehen aber darin, wie man die rechtspolitischen Diskussionen in diesen unterschiedlichen Zeiten verstanden hat, ob man da Unterschiede abzeichnen kann, welche Themen man für aktuell gehalten hat und wie man die Bedeutung von rechtspolitischen Beiträgen geschätzt hat.

2.1. Oikeus im Gründungsjahr 1972

In dem ersten Heft gibt es einen Einleitungsaufsatz von dem ersten Chefredakteur Aulis Aarnio – der damals 35-jährige Rechtstheoretiker war gerade im Jahre 1970 Professor für Zivilrecht an der Juristenfakultät in Helsinki geworden. Aarnio schrieb über die Motive der Gründung der neuen Zeitschrift. Diese seien vor allem die aktuellen Diskussionen über das Justizwesen und das Bedürfnis nach einem neuen Forum für die kritischen Debatten. Auch wollte man das allgemeine Publikum erreichen, um die Kenntnis über die rechtlichen und juristischen Fragen und Probleme zu verbreiten. Aarnio meinte, dass die rechtspolitischen Fragen kein Monopol der Juristen sein durften. Also sollten die Beiträge von Oikeus die juristischen Fragestellungen und die grundlegenden rechtlichen Zielsetzungen auch für die juristischen Laien, sogar den „gemeinen Mann“ verständlich machen. Man wollte die Rechtskenntnis in der Gesellschaft verbreiten. Das Recht sollte „viel unparteiischer als früher für alle Klassen verwirklicht werden“, schrieb Aarnio. Diese Versprechung ist freilich nicht eingelöst worden. Oikeus war und ist in der Wirklichkeit eine Zeitschrift von einer akademisch gebildeten engen Gruppe – das Publikum besteht hauptsächlich aus den Mitgliedern der zwei herausgebenden Vereine, die entweder an den Universitäten wirken oder als Anwälte und Beamten sich für gesellschaftliche Fragen interessieren und einen mehr oder weniger entwickelten demokratischen Sinn haben wollen.

Trotzdem ist das Publikum von Oikeus nach wie vor heterogener als z. B. das Publikum von Lakimies. Von Anfang an gab es sowohl in der Redaktion als auch in der Mitgliedschaft der beiden Vereine auch Nichtjuristen, also Soziologen, Staatswissenschaftler und Historiker. Neben Aarnio und seinem Kreis der jüngeren akademischen Forscher haben in der Redaktion z. B. Lars D. Eriksson, Raimo Lahti, Risto Jaakkola, Antero Jyränki, Ilkka Saraviita und Pekka Koskinen mitgewirkt.

Der erste Jahrgang von Oikeus im Jahre 1972 besteht aus nur zwei Heften, die zusammen etwa 110 Seiten ausmachen. Die Beiträge dieser Anfangszeit waren meistens kurz (zwischen 3 und 10 Seiten) und eher Übersichten oder Diskussionsbeiträge als richtige, von der Forschung getragene wissenschaftliche Aufsätze. Auch solche fanden den Weg in Oikeus, allerdings erst in späteren Jahren.

Die Themen des ersten Jahrgangs variierten von Juristenausbildung bis zu überstaatlichen Gesetzesinitiativen in der Europäischen Gemeinschaft: die Freiheit der Wissenschaft und Wissenschaftspolitik, die Diskussionen zu der Gesetzgebung der Familienplanung (also die Abtreibungsfrage), die Kriminalpolitik als ein Teil der Sozialkontrolle, die strafrechtlichen Gesetzesentwürfe, die arbeitsrechtlichen Fragen (unter klar klassenpolitischer Perpektive), die sozialistische Rechtsidee. Von Anfang an und fast in jedem Heft hat Oikeus Übersichten über die neuen Gesetze und Gesetzesinitiativen in anderen Ländern geliefert. Die Redaktion wollte gerade solche Information an den Leser weitergeben und zeigen, welche Fragen rechtspolitisch aktuell waren und zur Diskussion anregen sollten. Die waren gleichfalls als kritische Hinweise für den Gesetzgeber gedacht. Hier gehörte vor allem die Behandlung des Rechts der Europäischen Gemeinschaft, aber auch der Aufsatz über die sozialistische Rechtsidee. Die kürzeren oder längeren, teilweise vergleichenden Übersichten über das Recht oder die Gesetzgebung der anderen Länder, meistens der sozialistischen (Ost-Deutschland, Polen, Ungarn, die Sowjetunion, auch sowjetisches Estland und Italien), sollten das nützliche Hintergrundwissen für die rechtspolitischen Zielsetzungen Finnlands geben.

Ein Kennzeichen von Oikeus war und ist, dass es eine spezielle thematische Nummer oder sogar mehrere im Jahr gibt. Ebenso von Anfang an werden in einem Heft die Vorträge oder mindestens eine Übersicht über die Vorträge und Diskussionen des Sommerseminars des Demokratischen Juristenvereins (das immer im August in Lahti stattfindet) veröffentlicht. Das Thema des Sommerseminars im Jahre 1972 war „Die Rechtspolitik und das gemeine Volk“.

In dem ersten Heft gab es auch zwei Anzeigen, die ebenfalls charakteristisch sind. Die eine war nämlich von der Sparbank der Arbeiter in Finnland mit dem Titel „Dient Dein Geld den Interessen von Anderen?“ und die zweite Anzeige von „Forum Oikeustiede“ (dt. „Das Forum der Rechtswissenschaft“), einer rechtswissenschaftlichen Publikationsreihe.

Im Laufe der 1970er Jahre blieb Oikeus auf der eingeschlagenen Bahn. Es kommen Themen vor wie z. B. radikale und marxistische Kriminologie, rechtswissenschaftliche Forschungsumwelt und Juristenausbildung oder die Institution des Justizkanzlers. Auch viele strafrechtliche (speziell im Zusammenhang der Strafrechtsreform), beamtenrechtliche, arbeitsrechtliche (speziell über Arbeiterschutz) und verfassungsrechtliche Beiträge wurden veröffentlicht. Ende der 1970er Jahre beginnt man auch über die Menschenrechte zu schreiben. In den Sommerseminarien ging es um die Reform der Verfassung (1974) oder um die radikale Erneuerung des Handelsgesetzes. Obwohl Oikeus Beiträge von allen Rechtsgebieten veröffentlichte, liegt der Schwerpunkt in den 1970er Jahren eindeutig im öffentlichen Recht und im Strafrecht.

Die immer wieder vorkommende Gegenüberstellung, ebenso wie die sprachlichen und begrifflichen Auseinandersetzungen, die für die Beiträge der 1970er Jahre typisch waren, können auf den Gegensatz „demokratisch versus bürgerlich“ zurückgeführt werden. Dieser Gegensatz war einerseits kulturell geprägt, aber in den 1970er Jahren bestimmt auch parteipolitisch. Die Trennlinie ging zwischen die Rechten und die Linken. So waren die Anhänger von Oikeus vor allem die Sozialdemokraten, Kommunisten und die Mitte (Parteilosen und Liberalen inbegriffen), ebenso wie die Mitglieder des Demokratischen Juristenvereins.

2.2. Oikeus im Jahre 1982

Im Jahre 1982 sind vier Hefte erschienen, die nun etwas umfangreicher waren und alle zusammen etwa 270 Seiten ausgemacht haben. Im Vergleich zu den Anfangszeiten ist die Zeitschrift mehr strukturiert. Auf der ersten Stelle stand die Rubrik des Chefredakteurs, danach kamen 3 oder 4 Aufsätze, dann Diskussionsbeiträge, und danach die Rubrik der Diskussionen und Meinungen. Seit dem Jahrgang 1978 gibt es am Ende noch einen speziellen Teil über das „Rechtsleben“, wo ein anonymer Kommentator kurz und meistens kritisch über allerlei Ereignisse, problematische Fälle oder Streitigkeiten in der Justiz und der Verwaltung oder im akademischen Milieu meldete; man informierte hier auch über nationale und internationale Tagungen und Seminare, die etwas mit dem Recht zu tun hatten. In dieser Zeit begann man auch, Literaturkritik und Rezensionen zu veröffentlichen.

Im Jahre 1982 war der Chefredakteur Niklas Bruun, damals 32 Jahre alt und ein künftiger Professor für Handels-, später Arbeitsrecht an der Schwedischen Handelshochschule in Helsinki. Zur Redaktion gehörten auch z. B. Urpo Kangas, Matti Lahti, Olli Mäenpää, Allan Rosas. In dem Herausgeberkollegium waren Thomas Wilhelmsson, Eero Backman, Jukka Kekkonen, Teuvo Pohjolainen, Kaarlo Tuori. Sowohl die Redaktion als das Herausgeberkollegium waren damit sehr akademisch geprägt.

Das erste Heft im Jahre 1982 war eine thematische Nummer über Umweltschutzgesetzgebung. Die Umwelt war ein neues Thema und die Beiträge behandelten die Frage sehr kritisch als ein Problem, für das die Juristen keine guten Lösungen mit ihren veralteten Begriffen und Steuerungsmitteln finden können. Den Hauptgegensatz sah man zwischen den privaten Eigentumsrechten und den allgemeinen Schutzinteressen. Das zweite Heft von 1982 war eine thematische Nummer über die neuen Technologien und internationalen Beziehungen.

Die dritte Nummer des Jahres 1982 war eine Jubiläumsnummer, dem zehnten. Erscheinungsjahr von Oikeus gewidmet. In diesem Zusammenhang schrieb Chefredakteur Bruun über die Krise der Rechtspolitik. Die Redaktion hatte die ehemaligen Chefredakteure und einige andere rechtspolitisch aktive Personen um einen Beitrag gebeten, aber nur wenige waren bereit, sich über die aktuellen rechtspolitischen Fragestellungen zu äußern. Bruun meinte, dass dies kennzeichnend für diese Zeit war, in der man nach den 1970er Jahren das Vertrauen in die gesetzlich verwirklichten Neuerungen und die gesetzliche Steuerung der gesellschaftlichen Entwicklung verloren hatte. Bruun schrieb über Realismus, Pessimismus, Kritik und Verwirrung.

Die Redaktion selbst hat in diesem Zusammenhang einen kollektiven Beitrag unter dem Titel „Zehn Thesen über Rechtswissenschaft“ geliefert und dazu einige Kommentarbeiträge von anderen Rechtswissenschaftlern eingeholt. In den zehn Thesen der Redaktion wird behauptet, dass es eine Zweiteilung gibt zwischen den theoretisch orientierten Rechtswissenschaftlern, die die rechtswissenschaftliche Forschung zu erneuern oder modernisieren versuchen, und den rechtsdogmatisch orientierten Rechtswissenschaftlern, die die traditionellen Forschungsmethoden benutzen. Die Redaktion nennt auch drei Schulen, nämlich Analytiker, Hermeneutiker und Marxisten, meint aber, dass diese Teilung für Finnland nicht stimmt, weil hier die Unterschiede vielmehr zwischen Tampere, Turku und Helsinki zu verzeichnen sind und damit die wissenschaftliche Orientierung eher geographisch bestimmt sei. Die Redaktion äußert in seinen Thesen die Sorge um die ziemlich geringe Wirkungskraft und anspruchslose Position der rechtswissenschaftlichen Forschung in Beziehung zu der Gesetzgebung. Die Situation wurde ziemlich hoffnungslos eingeschätzt. Es gab keine gezielte Forscherausbildung und auch die Anzahl der Forschungsprojekte war gering.

Die eingeholten Kommentare sahen die Lage ziemlich ähnlich, doch nicht so pessimistisch. Man kann wohl sagen, dass diese Beiträge ein Verständnis der kritischen Rechtspolitik vermitteln, wonach die Rechtswissenschaftler mehr die Information und Methoden der Gesellschaftswissenschaften benutzen sollten, um dadurch gewonnene Ergebnisse und Information für den Gesetzgeber vorzubereiten. Durch den gezielten Methodenwandel sollte man neue Probleme besser identifizieren und lösen können. Die zeitgenössische Rechtswissenschaft sei aber zu eng juristisch oder zu konservativ und von der Außenwelt abgekapselt.

Die Diskussionsbeiträge der Jubiläumsnummer waren kürzere Aufsätze über die Nachrichtenübermittlung und Straßenverkehrsgesetz, die kollektiven Rechte und Umweltfragen, die Gesetzgebung über die Atomkraftabfälle, die Unabhängigkeit von Beamten, die rechtliche Position von Homosexuellen, die Gleichberechtigung und die Rechte der ethnischen Minderheit von Samen. Darüber hinaus ging es in Oikeus der 1980er Jahre etwa um den Richterstand, die Gerichte und den Rechtsschutz, um die Interventionsnormen, um den Arbeitsmarkt und Arbeitsgesetze, um das Polizeiwesen, um die Wirtschaftskriminalität, um Flüchtlinge und um die europäische Integration. In den Sommerseminarien ging es darüber hinaus noch um das Frauenrecht, um den Sozialstaat, Vormundschaftsstaat und Wohlfahrtstaat, um die Grenzen des Rechtsstaats, um die Menschenrechte und um die Umwelt.

Es kehrt die Frage nach der Gesetzgebung und Gesetzesinitiativen immer wieder. Im Vergleich zu den 1970er Jahren fehlen aber die umfassenderen Übersichten; die wissenschaftlichen Aufsätze und Beiträge beschäftigen sich mit aktuellen Vorbereitungen der Gesetzgebung, die teilweise auch spezielle Probleme und thematische Nummern hervorgebracht haben.

Im Vergleich zum vorigen Jahrzehnt war der herrschende Gegensatz nicht mehr zwischen den Rechten als konservativ-bürgerlich und den Linken als kritisch-demokratisch. Die Beiträge behandeln nun kritisch-demokratisch die Probleme der verschiedenen schwächer gestellten Gruppen und Minderheiten wie Homosexuelle, Samen, Frauen, Verbraucher, Patienten, Kriminelle, aber auch Lohnarbeiter. Es kommen auch spezielle neue allgemeine Probleme vor wie Atomkraft und Umweltschutz. Als rechtswissenschaftliche Erneuerungen kommen die alternativen wissenschaftlichen Richtungen zur Rede wie verschiedene Varianten des Strukturalismus, Critical Legal Studies, reflexives Recht und Dekonstruktion. Diese werden nun sowohl im Zivilrecht als auch kriminalpolitisch eingesetzt. Die Rechtssprache und die Begriffsbildung der Rechtswissenschaft finden mehr Aufmerksamkeit als die eigentlichen rechtlichen Probleme. Auf dieser Reflexionsebene sollte sich die kritische Richtung der Zeitschrift ausdrücken.

2.3. Oikeus im Jahre 1992

Auch im Jahre 1992 sind vier Hefte erschienen, der Umfang ist wieder etwas größer geworden – alle zusammen machen etwa 390 Seiten aus. Es gab zwei Chefredakteure: Juha Pöyhönen (geb. 1953, ab 1993 Professor an der Universität Lapplands zu Rovaniemi) und Kirsti Kurki-Suonio (geb. 1957, Dozentin für Familienrecht an der Universität zu Helsinki). Seit dem Jahr 1988 gab es immer zwei Chefredakteure, einen Mann und eine Frau. Dies ist zu den Gleichberechtigungsdiskussionen und entsprechenden Gesetze der 1980er Jahre zurückzuführen.

Die erste Nummer des Jahrgangs 1992 war eine thematische Nummer über Evaluation der rechtswissenschaftlichen Forschung. Den Hintergrund bildete ein Arbeitsgruppenbericht über diesen Bereich, und auch Diskussionsbeträge. In den wissenschaftlichen Aufsätzen ging es um die Umweltprobleme, wobei das Umweltrecht nun als ein neues Grundrecht behandelt wurde. Die zweite Nummer war ebenfalls eine thematische Nummer und es ging um die Familienrechtsgesetze, daneben auch um das Frauenrecht. Die dritte Nummer war eine thematische Nummer über Gerichte und Richter mit Berücksichtigung der Fragestellung, ob man in Finnland vom Richterstaat und Richterrecht sprechen sollte.

Die vierte Nummer des Jahres 1992 war wieder eine Jubiläumsnummer – man feierte 20 Jahre der Zeitschrift Oikeus. Die Chefredakteurin Kurki-Suonio präsentierte in ihrem Einleitungsaufsatz das erste frauenrechtliche Lehrbuch auf Finnisch. Das Buch war gerade erschienen und Kurki-Suonio hat viel auf den neuen Blickwinkel gesetzt, wovon auch Oikeus profitieren sollte. Die Beiträge der Jubiläumsnummer sind von ehemaligen Chefredakteuren und Redaktionsmitgliedern. Entsprechend den Forschungsinteressen der einzelnen Personen sind die Themen sehr unterschiedlich und lassen keinen gemeinsamen Nenner zu. Man schrieb über die europäische Integration, Kultur und Rechtswissenschaft (Aarnio), über die Ergebnisverantwortungsideologie (Eriksson), über die Gesamterneuerung des Strafgesetzbuchs (Koskinen), über Polyzentrismus (Bruun), über die Institution des Staatspräsidenten (Ylikangas), über den Wohlfahrtstaat und das soziale Zivilrecht (Wilhelmsson), über 666 und die Depression (Nousiainen), über die Forschung des Rechts in anderen europäischen Ländern (Kekkonen), über die Überverschuldung (Niemi-Kiesiläinen) und über das Recht als Stütze des Wohlfahrtstaats (Tuori). Dem Ton nach sind die Beiträge eher pessimistisch. Man sah den Untergang des Wohlfahrtstaats vor. Die wirtschaftliche Entwicklung hat sich als ein eigenständiger Faktor mit eigener Logik gezeigt und die Rechtswissenschaftler hatten kaum Instrumente für eine effektive Gegensteuerung.

Darüber hinaus sind in den 1990er Jahren noch folgende Themen behandelt worden: die Risikogesellschaft in ihrem Zusammenhang mit der Umweltproblematik und weniger mit den früher behandelten Problemen des Wohlfahrts- und Sozialstaats, die Rechtsprobleme mit den Flüchtlingen, die europäische Integration, die Reform des Justizwesens, die polyzentren Pluralismen und die symbolischen Funktionen des Rechts, Law and Economics, Grundrechtserneuerung, die Diskussion über die frauenrechtliche Forschung, die geschlechtsbezogenen Selbstbestimmungsrechte, das Geschlecht und die Märkte, die alternativen Konfliktslösungsmittel.

Neben den bekannten und wiederkehrenden Themen ist Oikeus durch ihre ganze Geschichte eine Zeitschrift gewesen, die das Forum für die jüngeren und auch für die schon etablierten Forscher und Forscherinnen geboten hat, die neuen Themen aufzunehmen oder neuen alternativen Perspektiven oder methodischen Programme zu präsentieren, die dann in der Tat auch umfangreichere Diskussionen hervorgerufen haben. Darunter gab es auch Themen, die sehr akademisch waren. So ist die Herausgabe der Zeitschrift in der Redaktion immer auch durch Diskussionen zwischen der mehr theoretisch und mehr praktisch orientierten Seite begleitet worden. Der Schwerpunkt ist dann je nach dem ausgefallen, ob in der Redaktion die Mitglieder von der Universität oder von den praktischen Berufen dominierten.

2.4. Oikeus im Jahre 2007

Oikeus war immer bei ihren vier Nummern im Jahr geblieben, der Umfang des Jahrgangs 2007 hat aber schon 500 Seiten ausgemacht. Wie auch früher, kommen neue Themen zur Rede wie etwa die Informationsgesellschaft, soziale Rechte als Menschenrechte, Multi- und Interdisziplinarität, Globalisierung, Wirtschaftskriminalität, die Reform der Juristenausbildung, die Gewalt gegen Frauen, vorgreifende Interventionen in das Vertragsrecht, die Gesetzgebungslehre, das Europarecht, die Umweltverbrechen, die neuen Aufgaben der Polizei, die Grund- und Menschenrechte der Kinder, das Menschenhandel mit Frauen und Kindern als ein Menschenrechtsproblem, die Gentechnologie und die Geschlechtsbezogenheit der Kriminalpolitik. Die Themen der Sommerseminarien der 2000er Jahre waren: das Kind in der Familie und im Prozess, die Gewalt, die Öffentlichkeit, die Sicherheit, das Recht und die Kultur.

Im Jahre 2002 hat man keine spezielle Jubiläumsnummer zu den 30 Jahren Oikeus gemacht. Dagegen hat man im Jahre 2007 die letzte Nummer als eine Jubiläumsnummer zu den 35 Jahren Oikeus herausgegeben. Die Chefredakteurinnen Päivi Paasto (1958–2009; Juris Doktor 1994; Assistentin, ab 2004 Oberassistentin für Rechtsgeschichte und allgemeine Rechtslehre an der Universität zu Turku) und Elina Pirjatanniemi (geb. 1966, ab 2009 Professorin für Verfassungs- und Völkerrecht an der Schwedischen Akademie zu Turku) hatten sich für eine umfangreiche Fragestellung entschieden. Es ging um die Frage, was die Rechtswissenschaftler unter der Rechtspolitik verstehen und welche Probleme sie rechtspolitisch für aktuell halten. Im Unterschied zu den früheren Jubiläumsnummern wandte man sich eben nicht an die ehemaligen Chefredakteure oder Redaktionsmitglieder, sondern an sehr junge Rechtswissenschaftler, die erst seit 2000 disputiert hatten. Diese junge Generation sollte dann darlegen, was sie von der Rechtspolitik denkt und welche Position die rechtspolitischen Fragen in ihrer Arbeit und Forschung einnehmen. Das Echo war bemerkenswert – es wurden 30 Beiträge geliefert, wovon 12 von verschiedenen Rechtsfächern und Angehensperspektiven publiziert worden sind.

Im Vorwort zu der Jubiläumsnummer habe ich die rechtspolitischen Problemstellungen von Oikeus während ihrer ersten Jahrzehnte mit denjenigen der aktuellen Nummer verglichen. Wenn früher die rechtspolitischen Diskussionen sich hauptsächlich auf ganz konkrete Vorschläge de lege ferenda beschränkten, geht es heutzutage viel allgemeiner um die grundsätzliche Beziehung der Forschung und Wissenschaft einerseits und der Rechtspolitik andererseits. Man erörtert vielmehr die Probleme der Wirkung und Bedeutung der rechtlichen Regulierung überhaupt und insbesondere im Vergleich zu anderen Regulierungsmitteln. Die Überzeugung, dass die Juristen viel mehr Kenntnisse über die soziologischen und empirischen Forschungen brauchen, ist gleich den früheren Jahrzehnten geblieben. Nun aber geht es nicht nur sehr allgemein um Kenntnisse und Methoden, sondern es wird verlangt, dass die Juristen durch mehrere verschiedene methodische Mittel erworbene Informationen zusammenbringen sollen, um diese mit ihrer eigenen juristischen Sachkenntnis zu bereichern und damit ganz neue Vorschläge zu formulieren imstande sein sollen. Dies wäre ihr Beitrag zu den – wie man die heute gerne nennt – Diskursen, von denen nur ein Teil juristisch ist.

Zwar gab es auch im Jahre 2007 rechtspolitische Beiträge mit konkreten Vorschlägen für die Gesetzesänderungen, um eine bessere Wirkung zu erreichen. Daneben wird aber sehr viel über die Schranken der traditionellen normativen Regulierung nachgedacht. So schreibt man auch viel über die alternativen Steuerungsmittel oder alternativen Konfliktlösungsweisen, oder man sucht und plädiert für die Lösungen mittelst soft law.

Man kann sagen, dass gerade die immer wieder wiederkehrenden Diskussionen über bestimmte problematische Fragen und Themen an sich sogar wichtiger sind als konkrete Gesetzesvorschläge. Die Lösungen werden so nach langen und vielfältigen Diskussionswellen gefunden. Während dieser wiederkehrenden Diskussionen bildet sich die öffentliche Meinung, die so zu einer gewissen Akzeptanzbereitschaft erzogen wird. Als Beispiele kann man etwa das Gesetz über die künstliche Befruchtung oder die Regelung der Partnerschaft der gleichgeschlechtlichen Paare nennen.

Es ist klar, dass heutzutage viele konventionelle Schranken der frühen 1970er Jahre weggefallen sind, und man könnte jetzt viel mehr rechtspolitische Beiträge publizieren. Ohne gezielte Nachfrage der Redaktion wurden solche Beiträge aber kaum vorgeschlagen. Es fragt sich, ob dieser Mangel etwas damit zu tun hat, dass die Politik selbst wegen der sehr dominanten Grundrechtsdiskussion deutlich rechtlicher geworden ist. Man kann also heute über die Verrechtlichung oder Konstitutionalisierung der Politik sprechen, und da gibt es vielleicht immer weniger Raum für die rechtspolitischen Diskussionen, die sich eben nicht mit den Grundrechtsinterpretationen auseinandersetzen.

3. Zusammenfassung

Oikeus hat sich im Laufe von mehr als drei Jahrzehnten verändert. Diese Veränderungen sind aber nicht etwa dadurch zu erklären, dass die Gesellschaft sich verändert hatte. Vielmehr ist das Gesicht von Oikeus von der Weise und dem Rhythmus der akademischen Juristenkultur geprägt worden. Es ist nicht zu übersehen, dass die Redaktion während der ganzen Existenz von Oikeus akademisch dominiert und geprägt worden ist. Zwar hat man ab und zu versucht, auch solche Themen und Beiträge aufzunehmen, die für die Juristen außerhalb der Universitäten, etwa für Anwälte oder als Verwaltungsbeamte tätige Praktiker interessant sein sollten. Die akademische Dominanz ist jedoch geblieben. Auch die Aufmerksamkeit auf die soziologischen und empirischen Forschungen, die man den Juristen bekannt machen wollte, hat durch ihre methodische Seite die akademische Dimension. Es gibt zwar keine Angaben über den Leserkreis von Oikeus oder über die Abonnements. Trotzdem ist es klar, dass die Leser vor allem die Mitglieder des Demokratischen Juristenvereins, nach dem neuen Namen des Rechtspolitischen Vereins Demla sein sollen. Indem die Mitglieder dieses Vereins fast ausschließlich Juristen sind, beschränkt sich das Publikum im Gegensatz zu den Plänen des Jahres 1972 doch wohl nur auf die Juristen.

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pp.84-89