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JURIDICA INTERNATIONAL. LAW REVIEW. UNIVERSITY OF TARTU (1632)

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On the Role of Consistency of the LegalSystem in a Democratic Republic

XVI/2009
ISBN 978-9985-870-26-6

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Die staatliche Einbeziehung Privater in die Wahrnehmung von Sicherheitsaufgaben

1.1. Realbefund

In den 1990er Jahren hat in der Bundesrepublik Deutschland eine „Privatisierungswelle“ eingesetzt, die in manchen Bereichen immer noch anhält, in anderen Sektoren aber bereits abgeebbt ist und auf bestimmten Gebieten sogar durch Gegenbewegungen gestoppt worden ist. Privatisierungsmaßnahmen wurden in Deutschland auf allen Verwaltungsebenen ergriffen: Bund, Länder und Gemeinden/Gemeindeverbände. Erfasst waren und sind umfangreiche Aufgabenfelder der öffentlichen Hand: Post, Telekommunikation und Bahn, Versorgung (mit Wasser) und Entsorgung (Abfall, Abwasser), Umwelt- und Planungsrecht (z.B. Einsatz externer Projektmanager); sogar sicherheitsempfindliche Bereiche sind betroffen (z.B. Strafvollzug, Bundeswehrverwaltung). Ein Ende der Entwicklung ist nicht abzusehen. *2

Die Gründe für die Privatisierung staatlicher Aufgaben sind zahlreich. Als wesentliche Impulse sind die Liberalisierungsmaßnahmen der Europäischen Union im Bereich der Daseinsvorsorge und das Leitbild vom „schlanken Staat“ zu nennen. Ordnungspolitisch werden in der privaten Leistungserstellung und Leistungserbringung die Vorzüge des Wettbewerbs in der Marktwirtschaft gepriesen. Zur Erreichung eines Bürokratieabbaus wird die Staatsentlastung durch Privatisierung staatlicher Aufgaben als unverzichtbar erachtet. Zur Bewältigung des Wissensproblems in der Informationsgesellschaft schließlich wird die Nutzung der Fachkompetenz Privater durch Einbeziehung in die Aufgabenerledigung als unabweisbar angesehen. *3

1.2. Innere Sicherheit und Aktivitäten Privater

Juristisch heikel ist in Deutschland die Einbeziehung Privater zur Gewährleistung der Inneren Sicherheit. Befürworter von Privatisierungsmaßnahmen auch in diesem Bereich verweisen zunächst auf den Realbefund. Auf der einen Seite kennt die deutsche Rechtsordnung etliche Vorschriften zur obligatorischen Eigensicherung von Privatrechtssubjekten (vgl. unten 2.2.); auf der anderen Seite hat das private Sicherheitsgewerbe eine ausdrückliche Regelung im Wirtschaftsverwaltungsrecht erfahren (§ 34a GewO), private Sicherheitsdienstleister sind aus der Gefahrenabwehr tatsächlich nicht mehr hinwegzudenken. *4

Das im Allgemeinen Verwaltungsrecht bekannte Modell von „Public Private Partnership“ (PPP) wird auf den Sektor der Inneren Sicherheit übertragen und zu „Police Private Partnership“ fortentwickelt. Als Beispiele für die Praktizierung von PPP werden z.B. genannt: die Verkehrsüberwachung, die Beobachtung im öffentlichen Raum, die Sicherheitsgewährleistung des U-Bahnverkehrs und auch der Vollzug des Ordnungswidrigkeitenrechts. *5 Speziell auf örtlicher Ebene wird für den Einsatz privater Sicherheitskräfte ein breites Betätigungsfeld gesehen. *6 Zur reibungslosen Organisation der Fußballweltmeisterschaft 2006 in Deutschland ist vermerkt worden, dass die Aufgabe nur auf Grund der Kooperation zwischen Polizei und privaten Sicherheitsdiensten zu bewältigen gewesen sei. *7

Seitens der Bevölkerung wird die Einbeziehung Privater zur Gewährleistung der Inneren Sicherheit als normal empfunden. *8 Unter rechtlichen und staatspolitischen Vorzeichen wird die Einbeziehung Privater in die Wahrnehmung von Sicherheitsaufgaben als Paradigmenwechsel propagiert; es vollziehe sich eine Ablösung des klassischen staatlichen Gewaltmonopols durch eine neue Arbeitsteilung zwischen Staat und Privaten im Sinne einer verstärkten privaten Eigen- und Mitverantwortung für die Gefahrenabwehr. *9

2. Formen und Typen von Privatisierungsmaßnahmen

Die genaue juristische Analyse der skizzierten tatsächlichen Phänomene verlangt zunächst Klarheit über den hier verwendeten Privatisierungsbegriff (1.) und fordert außerdem eine wichtige Abgrenzung der eigentlichen Privatisierungsmaßnahmen (3.) von verwandten Phänomenen (2.).

2.1. Begriff der „Privatisierung“

Im Ausgangspunkt muss Klarheit darüber herrschen, dass „Privatisierung“ keinen Gesetzesbegriff mit einem bestimmten, für die gesamte Rechtsordnung geltenden Inhalt darstellt. Es handelt sich vielmehr um einen rechtswissenschaftlichen und auch von der Rechtsprechung verwendeten Sammelbegriff, der unterschiedliche Phänomene erfasst und bündelt. Normativen Gehalt erlangt der Terminus „Privatisierung“ aus dem jeweiligen Regelungszusammenhang; eine gewisse Abgrenzungsschärfe ergibt sich aus der sogleich darzustellenden Typologie (s. u. 2.3.).

Privatisierung“ meint die Verlagerung staatlicher, bislang von der öffentlichen Verwaltung wahrgenommener Aufgaben bzw. deren Durchführung auf ein Privatrechtssubjekt, das dem Rechtsregime des Zivilrechts untersteht. *10 „Privatisierung“ ist mehr als bloße Entstaatlichung, weil neben der kompletten Verlagerung einer bisherigen Verwaltungsaufgabe in den privaten Sektor auch die bloße Aufgabenerledigung durch Private und der Wechsel der Rechtsform („privatrechtlich organisierte Verwaltung“) erfasst werden und außerdem Zwischenstufen dem Konzept der Privatisierung zugeordnet werden können.

2.2. Eigenüberwachung und Eigensicherung Privater

Abzugrenzen sind Maßnahmen der Privatisierung von gesetzlichen Anordnungen zur Eigenüberwachung und Eigensicherung Privater. *11 Sie spielen zur Gewährleistung der Inneren Sicherheit eine erhebliche Rolle und kommen vor allem in öffentlich zugänglichen Räumen Privater und öffentlich bemerkbaren Infrastrukturanlagen Privater zur Anwendung. Eng verwandt hiermit ist die staatliche Indienstnahme Privater *12 , auf die hier aber nicht näher eingegangen werden soll.

Die Eigenüberwachung (Eigenkontrolle) bezieht sich auf die von einer (Industrie-)Anlage oder von einer Tätigkeit ausgehenden Gefahren, während die Eigensicherung auf die Abwehr derjenigen Gefahren gerichtet ist, die der eigenen Anlage oder Tätigkeit von außen drohen; das positive Recht orientiert sich an dieser idealtypischen Unterscheidung, kombiniert die Sicherheitsanordnungen jedoch vielfach und schafft Mischtatbestände.

Einige konkrete Beispiele können den Befund verdeutlichen:

–   Im Luftsicherheitsrecht kann die zuständige Behörde geeigneten Personen als Beliehenen die Wahrnehmung bestimmter Aufgaben bei der Durchführung der Sicherheitsmaßnahmen auf Flugplätzen übertragen (§ 5 Abs. 5 LuftSiG); außerdem sind unmittelbar durch Gesetz Sicherungsvorkehrungen angeordnet, die vom Flugplatzbetreiber (§ 8 LuftSiG) und vom Luftfahrtunternehmen (§ 9 LuftSiG) zu treffen sind. *13

–   Im Atomrecht hängt die Genehmigung einer Kernenergieanlage unter anderem davon ab, dass der erforderliche Schutz gegen Störmaßnahmen oder sonstige Einwirkungen Dritter gewährleistet ist (§ 7 Abs. 2 Nr. 5 AtG); danach durfte gegenüber einem Kernkraftwerksbetreiber die Einrichtung eines bewaffneten Werkschutzes angeordnet werden, um Gefahren durch unbefugtes Einwirken Dritter auf die Anlage abwehren zu können. *14

–   Im Immissionsschutzrecht schreibt die Störfall-Verordnung vor, dass Anlagenbetreiber Vorkehrungen treffen müssen, um Störfälle zu verhindern (§ 3 der 12. BImSchV); interessant ist die ausdrücklich normierte Verpflichtung zum Ergreifen auch von Maßnahmen, die die sicherheitsrelevanten Teile des Betriebsbereichs vor Eingriffen Unbefugter schützen (§ 4 Nr. 4 der 12. BImSchV).

Rechtsdogmatisch ist für die Anordnung von Eigensicherungsmaßnahmen nach deutschem Recht bedeutsam, dass nicht die Exekutive dazu auf Grund des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts befugt ist. Denn eine solche erweiterte Verantwortlichkeit eines Privatrechtssubjekts für Gefahren, die durch Einwirkungen Dritter z.B. auf eine Verkehrs- oder Industrieanlage verursacht werden, geht über die normale polizeiliche Zustandsstörerhaftung hinaus; deshalb ist für die Einführung von Eigensicherungspflichten eine spezielle gesetzliche Grundlage erforderlich. *15

2.3. Grundtypen der Privatisierung

Es ist bereits darauf hingewiesen worden, dass der Terminus „Privatisierung“ ein rechtswissenschaftlicher Sammelbegriff ist, der unterschiedliche Privatisierungsphänomene zusammenfasst. Für die Beantwortung konkreter Rechtsfragen bedarf die Begrifflichkeit der Präzisierung. Dieser Aufgabe nähert man sich in Deutschland mit Hilfe einer Typisierung vergleichbarer Privatisierungsphänomene. Vier Grundmodelle haben sich herausgebildet: Vermögensprivatisierung, Organisationsprivatisierung, Aufgabenprivatisierung, funktionale Privatisierung. Im vorliegenden Zusammenhang kann die Vermögensprivatisierung (privatrechtliche Übertragung von Vermögensgegenständen der öffentlichen Hand auf Private) *16 außer Betracht bleiben. Von Bedeutung für die Einbeziehung Privater in die Wahrnehmung von Sicherheitsaufgaben sind jedoch die anderen drei Grundmodelle. Sie stellen sich idealtypisch wie folgt dar *17 :

–   Die Organisationsprivatisierung bewirkt lediglich einen Wechsel der Rechtsform, in der eine Verwaltungsaufgabe wahrgenommen wird. Deshalb wird dieser Typus auch als formelle Privatisierung bezeichnet. Die Aufgabe als solche verbleibt im staatlichen Sektor; zu ihrer Erledigung bedient sich der Staat jedoch einer Organisationsform des Privatrechts (z.B. GmbH, AG) und lässt die Aufgabe durch das neu geschaffene Privatrechtssubjekt mit privatrechtlichen Mitteln wahrnehmen.

–   Die Aufgabenprivatisierungist das Gegenmodell zur Organisationsprivatisierung und stellt die weitgehendste Form der Privatisierung dar. Mit ihr wird die Aufgabe als solche privatisiert; das bedeutet, dass die Aufgabe in den privaten Sektor verlagert und dort Privatrechtssubjekten im Wettbewerb des Marktes überlassen wird. Es handelt sich also um eine materielle Privatisierung. Die dadurch bedingte Staatsentlastung ist aber im deutschen Recht oftmals mit der Verpflichtung des Staates zur Gewährleistung einer gemeinwohlverträglichen Aufgabenerledigung durch den Privaten verknüpft. Die bleibende staatliche Gewährleistungsverantwortung stellt sich demnach als „Privatisierungsfolgenrecht“ dar. *18

–   Die funktionale Privatisierung, auch als Vollzugsprivatisierung bezeichnet, ist systematisch zwischen der Organisationsprivatisierung und der Aufgabenprivatisierung einzuordnen. Die Aufgabenzuständigkeit und damit die Aufgabenverantwortlichkeit bleiben beim Hoheitsträger, lediglich die Wahrnehmung (Durchführung, Erledigung) der Aufgabe wird einem Privatrechtssubjekt übertragen. Rechtsdogmatisch ist der Private als Verwaltungshelfer zu qualifizieren; sollen auch Hoheitsbefugnisse ausgeübt werden, muss die Rechtsstellung eines (mit Hoheitsmacht) Beliehenen vorgesehen werden. *19

Die hier skizzierten Grundtypen der Privatisierung fassen modellhaft typische Privatisierungsvorgänge zusammen. Selbstverständlich gibt es Mischformen und weitere Ausdifferenzierungen. *20 Besonders die funktionale Privatisierung eignet sich für den flexiblen Einsatz vertragsrechtlicher Instrumente zur Detailausgestaltung eines bestimmten Privatisierungsvorgangs. Ferner muss man sich bewusst machen, dass in der Praxis kaum die vollständige Privatisierung einer Aufgabe – in welcher Form auch immer – den Regelfall darstellt, sondern oftmals nur Teilprivatisierungen von Verwaltungsaufgaben vorgenommen werden. Auf die damit verbundenen Einzelheiten braucht hier nicht eingegangen zu werden. Zur rechtlichen Analyse der Einbeziehung Privater in die Wahrnehmung von Sicherheitsaufgaben können wir es bei den erwähnten Grundmodellen bewenden lassen.

3. Innere Sicherheit als Staatsaufgabe

Ob überhaupt und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfang welche Art der Privatisierung rechtlich zulässig ist, hängt nach der deutschen Rechtsordnung in erster Linie von der Art der Aufgabe und dem jeweiligen Rechtsgebiet ab. Dazu müssen hier einige wenige Hinweise genügen.

3.1. Staatliche Aufgaben

In Deutschland ist der Aufgabenbestand des Staates verfassungsrechtlich nicht abschließend festgelegt. Auch „natürliche“ Staatsaufgaben gibt es nicht. Staatliche Aufgaben können daher nicht etwa aus einem abstrakten Staatsbegriff abgeleitet werden, sie sind vielmehr einzeln nach Maßgabe des Verfassungsrechts zu bestimmen. *21

Zu unterscheiden ist zwischen „öffentlichen Aufgaben“ und „Staatsaufgaben“. Öffentliche Aufgaben betreffen Angelegenheiten des Gemeinwesens mit einem Gemeinwohlbezug, an deren Erledigung folglich ein öffentliches Interesse und nicht nur ein privates Partikularinteresse besteht. *22 Öffentliche Aufgaben werden nicht notwendigerweise vom Staat selbst wahrgenommen; sie sind unabhängig vom Aufgabenträger und vom Ausführenden der Aufgabe. *23 So müssen z.B. Aufgaben der Daseinsvorsorge nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht deshalb unmittelbar vom Staat erledigt werden, weil sie von wesentlicher Bedeutung für das Gemeinwohl sind. *24 Es genügt, wenn der Staat z.B. durch seine Rechtsordnung gemeinwohlsichernde Rahmenbedingungen für die private Leistungserbringung setzt.

Mangels geschlossener Staatsaufgabenlehre gilt in Deutschland der formale Staatsaufgabenbegriff. *25 Danach sind staatliche Aufgaben diejenigen öffentlichen Aufgaben, die vom Staat – in der Regel auf Grund gesetzlichen Zugriffs – nach geltendem Recht zur Wahrnehmung in Anspruch genommen werden. *26 Gesetzgeberische Gestaltungsbefugnisse fehlen nur dort, wo das Verfassungsrecht in Bezug auf die Privatisierung strikte Direktiven vorgibt. Das ist zwar selten der Fall, kommt jedoch durchaus vor. Obligatorische Staatsaufgaben sind einer Aufgabenprivatisierung nicht zugänglich. Dazu zählen insbesondere alle dem staatlichen Gewaltmonopol unterfallenden Bereiche; sie sind einer Entäußerung durch Privatisierung entzogen. *27 Beispiele sind die Justiz und das Militär, die Zwangsvollstreckung und das öffentliche Beurkundungswesen sowie das Währungswesen *28 ; erfasst sind auch, wie zu zeigen sein wird, polizeiliche Aufgaben. *29

3.2. Innere Sicherheit und staatliches Gewaltmonopol

Die Gewährleistung der Inneren Sicherheit ist nach deutschem (Verfassungs-)Recht eine fundamentale und originäre Aufgabe des Staates. *30 Zwar fehlt eine ausdrückliche Benennung dieser Staatsaufgabe im Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland. Aber aus der Garantiefunktion der Grundrechte (mit der Statuierung einer staatlichen Schutzpflicht) und dem staatlichen Gewaltmonopol lässt sich herleiten, dass die Gewährleistung der Inneren Sicherheit eine obligatorische Staatsaufgabe darstellt. *31

Das Bundesverfassungsgericht hebt hervor, dass der Staat als rechtlich verfasste Friedens- und Ordnungsmacht fungiert und die Sicherheit seiner Bevölkerung zu gewährleisten hat. *32 Die Schaffung der allgemeinen Rechtsordnung und ihre Durchsetzung sind beim Staat monopolisiert. *33 Die Gewährleistung der Inneren Sicherheit stellt eine notwendige Staatsaufgabe dar. *34 Daraus resultiert kein staatliches Monopol auf Sicherheitsgewährung; denn in die Aufgabendurchführung können, wie zu zeigen sein wird, Private einbezogen werden. Aber die kategoriale Aufgabenzuordnung muss klar erkannt werden; die prinzipielle Aufgabenzuweisung an den Hoheitsträger begründet die Pflicht des Staates, die Sicherheit seiner Bürger zu schützen. *35

4. Grenzen der Privatisierung auf dem Gebiet der Inneren Sicherheit

Nach den bisherigen Überlegungen steht fest, dass der Einbeziehung Privater in die Wahrnehmung von Sicherheitsaufgaben rechtlich mit Zurückhaltung zu begegnen ist. Welche Möglichkeiten überhaupt bestehen und welche Direktiven zu beachten sind, soll nun anhand der drei Grundtypen der Privatisierung untersucht und mit praktischen Beispielen verdeutlicht werden.

4.1. Privatisierungsverbote

Da die Gewährleistung der Inneren Sicherheit in Deutschland eine notwendige Staatsaufgabe ist, scheidet eine Aufgabenprivatisierung aus; das staatliche Gewaltmonopol stellt eine absolute Sperre für die materielle Privatisierung dar. *36 Eine Organisationsprivatisierung kommt grundsätzlich ebenfalls nicht in Betracht, da die Gesetzesausführung in Deutschland in der Regel durch die bundeseigene bzw. landeseigene Verwaltung oder durch bundesunmittelbare bzw. landesunmittelbare Körperschaften oder Anstalten des Öffentlichen Rechts erfolgt; Ausnahmen von diesem Organisationsmodell kommen nur kraft besonderer verfassungsrechtlicher Zulassung in Betracht.

Zur Veranschaulichung des Befundes sollen drei Beispiele aus der Praxis etwas näher beleuchtet werden:

–   Die Flugsicherung dient in Deutschland der Sicherheitsgewährleistung im Luftraum und ist nach eigenem Bekunden des Bundesgesetzgebers dem Kernbereich staatlicher Aufgaben zuzuordnen. *37 Nach dem deutschen Grundgesetz wird die Luftverkehrsverwaltung in bundeseigener Verwaltung geführt, allerdings kann durch Bundesgesetz eine privatrechtliche Organisationsform vorgesehen werden (Art. 87d Abs. 1 GG), so dass verfassungsrechtlich eine Organisationsprivatisierung erlaubt ist. Als bundeseigene Gesellschaft wurde die „Deutsche Flugsicherung GmbH“ (DFS) gegründet und zur Wahrnehmung der hoheitlichen Aufgaben im Wege der Beleihung mit Hoheitsbefugnissen betraut. *38 Im Jahr 2006 wollte der Bundesgesetzgeber eine Kapitalprivatisierung der Deutschen Flugsicherung vornehmen, indem eine Beteiligung Privater an der DFS GmbH in Höhe von 74,9% erlaubt werden sollte. *39 Da das deutsche Verfassungsrecht bezüglich der Flugsicherung nur eine Organisationsprivatisierung zulässt, so dass der Bund an der DFS GmbH 100% der Geschäftsanteile halten muss, war die geplante Beteiligung Privater an der DFS GmbH verfassungswidrig. *40 Der Bundespräsident verweigerte zu Recht die Ausfertigung des ihm zugeleiteten Gesetzes. *41

–   Für die Parkraumüberwachung waren im Rahmen eines neuen Berliner Parkraumüberwachungskonzepts private Ermittler einbezogen worden, um staatliche Verfolgungsmaßnahmen zu unterstützen. Für die Ahndung von Verkehrsordnungswidrigkeiten sind nach deutschem Recht jedoch ausschließlich Behörden oder Bedienstete der Polizei zuständig (§ 26 StVG). Gerichtlich wurde festgestellt, als typische Hoheitsaufgabe gehöre die Verfolgung und Ahndung von Ordnungswidrigkeiten zum Kernbereich hoheitlicher Staatsaufgaben und sei daher Privatunternehmen verschlossen; die Mitwirkung von Privatfirmen und ihren Beschäftigten bei der Überwachung des ruhenden Verkehrs durch Erforschung und Feststellung von Verkehrsverstößen verletze nicht nur Gesetzesrecht, sondern auch die Verfassung (Art. 20 Abs. 3, 33 Abs. 4 GG). *42 Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass die Tätigkeit privater Ermittler im Rahmen jenes Berliner Parkraumüberwachungskonzepts in Bezug auf Betroffene Eingriffsqualität aufweist, da es um die Verfolgung und Ahndung begangenen Unrechts geht. *43

–   Vergleichbar ist die Rechtslage, wenn Private bei der Geschwindigkeitsmessung im Straßenverkehr eingesetzt werden und anschließend ein Ordnungswidrigkeitenverfahren eingeleitet wird. Zu einer entsprechenden Praxis in Bayern wurde gerichtlich festgestellt, die behördliche Beauftragung Privater mit der Messung, Registrierung und Dokumentation von Geschwindigkeitsverstößen sei unzulässig. Denn Maßnahmen der Geschwindigkeitsüberwachung und die Ermittlung sowie Verfolgung der sich daraus ergebenden Verkehrsverstöße seien Maßnahmen zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und gehörten damit zum Kern der originären Staatsaufgaben. Weil diese aber vom Staat selbst wahrgenommen werden müssten, dürfe keine Verlagerung auf Private erfolgen; eine Privatisierung von Sicherheitsaufgaben dürfe nur durch Beleihung Privater mit Hoheitsbefugnissen geschehen, was aber nicht von der Verwaltung selbst vorgenommen werden könne, sondern einer gesetzlichen Ermächtigung bedürfe. *44

Der Staatsgerichtshof (Generalversammlung) der Republik Estland hat aus Anlass einer Geldbuße nach dem Gesetz über den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNVG) am 16. Mai 2008 ein Urteil gefällt, das der in Deutschland geltenden Rechtslage entspricht. Ein öffentliches Verkehrsmittel war von einem Fahrgast ohne Fahrberechtigung benutzt worden. Das estnische ÖPNVG erlaubt die Wahrnehmung behördlicher Aufgaben im Ordnungswidrigkeitenrecht durch juristische Personen des Privatrechts. Der Staatsgerichtshof hat erkannt, dass es hier – zumal Grundrechtseingriffe vorgenommen werden können – um eine Kernfunktion der Staatsgewalt gehe, die nicht einem Privatrechtssubjekt übertragen werden könne. Die im öffentlichen Interesse notwendige behördliche Objektivität und Neutralität werde beeinträchtigt, wenn Privatinteressen wahrgenommen werden könnten. Zwar sei die Übertragung staatlicher Befugnisse auf Private nicht absolut ausgeschlossen, jedoch seien im konkreten Fall die Anforderungen des Gesetzesvorbehalts nicht beachtet worden. – Aus deutscher Sicht darf betont werden, dass ein deutsches Gericht in einer vergleichbaren Streitfrage nicht anders hätte entscheiden dürfen.

4.2. Privatisierungsmöglichkeiten

Die Restriktionen der deutschen Rechtsordnung zur materiellen Privatisierung von Sicherheitsaufgaben bedeuten nicht, dass eine stärkere Kooperation zwischen Polizei-/Sicherheitsbehörden und Privaten rechtlich ausgeschlossen ist. Zu beschreiten ist der Weg der funktionalen Privatisierung, falls Private, insbesondere private Sicherheitsdienstleister („Security“-Firmen), stärker in die Wahrnehmung von Sicherheitsaufgaben einbezogen werden sollen. Gegen eine derartige Einbeziehung des privaten Sicherheitsgewerbes *45 in die Aufgabenerfüllung bestehen verfassungsrechtlich keine prinzipiellen Bedenken.

Die in Betracht kommenden Tätigkeitsfelder für private Sicherheitsdienstleister sind breit gestreut. Juristisch müssen allerdings mehrere Unterscheidungen getroffen werden. Die Wahrnehmung von Sicherheitsaufgaben von Privaten für Private bestimmt sich nach Zivilrecht (unter Einschluss der Selbsthilfe-, Notwehr- und Nothilfebefugnisse, die jedermann zustehen), hoheitliche Befugnisse gegenüber Dritten existieren in diesem Fall nicht; bekannte Beispiele sind in diesem Zusammenhang der Objektschutz, die Sicherung von Geld- und Werttransporten sowie der Personenschutz. Die Kooperation privater Sicherheitsdienstleister mit Sicherheitsbehörden muss zusätzlich den Vorgaben des Öffentlichen Rechts entsprechen. Denkbare Einsatzbereiche sind etwa gemeinsame Patrouillen von Polizei und Privaten in Fußgängerzonen und Bahnhöfen, Kooperationen bei der Personen- und Gepäckkontrolle auf Flughäfen, die Zusammenarbeit bei der Durchführung von Großveranstaltungen und die Verkehrsüberwachung sowie der Einsatz von Sky Marshals in Flugzeugen. *46

Rechtlich ist es nicht korrekt, wenn die verschiedenen Formen von Police-Private-Partnership als „geteilte Sicherheitsverantwortung“ qualifiziert werden. *47 Denn politikwissenschaftliche, sozialwissenschaftliche oder verwaltungswissenschaftliche Deutungsmuster sind im vorliegenden Zusammenhang unbrauchbar; im Rechtssinne kann es angesichts des staatlichen Gewaltmonopols beim Schutz der Inneren Sicherheit eine „Verantwortungsteilung“ nicht geben. *48 Das zeigt eine weitere wichtige Unterscheidung: Im Regelfall ist die funktionale Privatisierung als bloße Verwaltungshilfe ausgestaltet (z.B. Einsatz privater Abschleppunternehmer bei verbotswidrig geparkten Fahrzeugen); der als „Erfüllungsgehilfe“ einer Behörde agierende Private verfügt über keinerlei Hoheitsrechte. Soll der Private bei der Wahrnehmung von Sicherheitsaufgaben auch Hoheitsbefugnisse, insbesondere Grundrechtseingriffe, vornehmen können, bedarf es nach deutschem Recht der Beleihung, die jedoch nur auf Grund einer besonderen gesetzlichen Ermächtigung vorgenommen werden darf. In dem erwähnten Beispiel der Geschwindigkeitsmessung durch eine Privatfirma im Rahmen der Verkehrsüberwachung wurde gerichtlich ausdrücklich festgestellt, eine funktionale Privatisierung in Form einer bloßen Verwaltungshilfe scheide angesichts der beim Verkehrsverstoß drohenden hoheitlichen Sanktion aus; der mit hoheitlichen Mitteln zu erledigende Schutz der öffentlichen Sicherheit durch Private sei nur in Gestalt der Beleihung Privater zulässig, die einer gesetzlichen Ermächtigung bedürfe, an der es jedoch im konkreten Fall fehlte. *49 Kommt es zur Beleihung, ist das betreffende Privatrechtssubjekt funktional (nicht: institutionell) in die Verwaltungsorganisation eingebunden und staatlicher Aufsicht unterstellt. Folglich greifen alle Sicherungen des Öffentlichen Rechts, die zum Freiheitsschutz des Individuums bestehen.

 

5. Fazit

Mit einem knappen Fazit kann festgehalten werden, dass die staatliche Einbeziehung Privater in die Wahrnehmung von Sicherheitsaufgaben nicht von vornherein ausgeschlossen ist, aber verfassungsrechtlichen Direktiven unterliegt und an gesetzliche Grenzen stößt. Nach deutschem Recht ist die Aufgabenprivatisierung der Inneren Sicherheit ausgeschlossen; einzelne Aufgaben können jedoch Privaten im Wege der funktionalen Privatisierung zur Erledigung übertragen werden. Sind hierzu, also bei der Aufgabendurchführung, keine Hoheitsbefugnisse erforderlich, kann die Verwaltung mit Privaten nach Maßgabe der Verwaltungshilfe kooperieren. Muss der Private dagegen zur Aufgabenerfüllung auch hoheitlich handeln können, bedarf es der Beleihung mit Hoheitsmacht. Nach deutschem Recht kann ein solcher Akt von der Exekutive nicht eigenständig vorgenommen werden. Vielmehr gilt der Gesetzesvorbehalt; das Parlament entscheidet, ob überhaupt und in welchen Bereichen sowie in welchem Umfang Privatrechtssubjekte mit Hoheitsmacht ausgestattet werden, um Aufgaben der öffentlichen Sicherheit wahrnehmen zu können. Diese rechtsstaatliche Sicherung, die zudem die Demokratie stärkt, erscheint Regierungspolitikern mitunter umständlich und unbequem. Aber Rechtsstaat und Demokratie haben nun einmal ihren Preis, und sie müssen manchmal zur Zügelung der „Selbstherrlichkeit“ der Exekutive unbequem sein.

In Deutschland ist im Jahr 2002 eine Reform des Bewachungsgewerberechts durchgeführt worden. Ziel der Reform war eine Anpassung der Voraussetzungen für die im öffentlichen Bereich ausgeführten Tätigkeiten des privaten Bewachungsgewerbes an die gestiegenen qualitativen Anforderungen; außerdem sollte jedoch sichergestellt werden, dass das staatliche Gewaltmonopol auch in Zukunft unangetastet bleibt. *50 Unter wirtschaftsverwaltungsrechtlichen Vorzeichen ist bestimmt, dass das Bewachungsgewerbe bei der Durchführung von Bewachungsaufgaben gegenüber Dritten nur diejenigen Rechte ausüben darf, die jedermann im Falle einer Notwehr oder einer Selbsthilfe zustehen; hinzu treten die vom jeweiligen Auftraggeber übertragenen Selbsthilferechte sowie die gegebenenfalls gesetzlich übertragenen Befugnisse (§ 34a Abs. 5 GewO). Die Gesetzesbegründung erklärt hierzu, im Umkehrschluss verdeutliche die getroffene Regelung, „dass das Gewaltmonopol der hoheitlich agierenden Polizei unangetastet bleiben muss“ *51 . Dabei sollte es im aufgeklärten demokratischen Rechtsstaat des 21. Jahrhunderts – unabhängig von aufsteigenden und auch schnell abflauenden Privatisierungseuphorien – in der Tat bleiben!

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pp.14-21