Search Menu

JURIDICA INTERNATIONAL. LAW REVIEW. UNIVERSITY OF TARTU (1632)

Issues list

Issues

Estonian Contribution to the Enlarged European Union

IX/2004
ISBN 9985-870-19-0

Cover image
Download

Issue

PDF

Europäisierung des Privatrechts – vom Beruf unserer Zeit für ein Europäisches Privatrecht

Einführung

Gustav Boehmer, einer der großen Gelehrten der vormals Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Freiburg in Deutschland, pflegte seiner Vorlesung „Einführung in das Bürgerliche Recht“ eine persönliche Erinnerung voranzustellen: Er habe mit einer Gruppe Kommilitonen aus Greifswald (Deutsch-
land) in der Nacht vom 31.12.1899 zum 1.1.1900 ein Freudenfeuer entzündet und, um dieses Feuer tanzend und singend, das zum 1.1.1900 in Kraft getretene neue Bürgerliche Gesetzbuch für das Deutsche Reich begrüßt.

Werden wir in der voraussehbaren Zukunft Freudenfeuer entzünden, um ein neues Europäisches Zivilgesetz­buch zu begrüßen? Wird sich damit der Traum eines Eurocode erfüllen, den Juristen wie Raymond Saleilles und Edouard Lambert schon im Jahre 1900 auf dem 1. Kongreß für Rechtsvergleichung anläßlich der Weltausstellung in Paris vorgestellt haben? *2 Wohl eher nicht, obwohl es auffällige Parallelen zwischen der Entwicklung in Deutschland im 19.Jahrhundert und der Entwicklung Europas in der zweiten Hälfte des 20.und im angebrochenen 21. Jahrhundert gibt. Ihnen möchte ich hier nachgehen, freilich zuweilen in recht gro­ben Strichen skizzierend und juristische Details so vereinfachend, daß sie auch für den nichtjuristischen Leser von Interesse sein könnten.

I. Vereinheitlichung des Privatrechts in Deutschland im 19. Jahrhundert

Wenn wir uns die Situation des Zivilrechts in Deutschland im 19. Jahrhundert, das heißt in dem 1815 ent­standenen Deutschen Bund, diesem mit bundesstaatlichen Elementen durchsetzten Staatenbund, vergegen­wärtigen, dann ist die Rechtszersplitterung in viele Partikularrechte *3 , die zunächst auch nach der Reichs­gründung 1871 fortbestand und erst mit dem Bürgerlichen Gesetzbuch am 1.1.1900 endete, für den Rechts­zustand im Deutschland des 19. Jahrhunderts kennzeichnend. Aber „der Kampf für nationale Rechtseinheit gehört(e) zu den beherrschenden Themen deutscher Geschichte im 19. Jahrhundert“ *4 , und er hatte schon 1814 mit Anton Friedrich Justus Thibauts Streitschrift „Über die Nothwendigkeit eines allgemeinen bürger­lichen Rechts für Deutschland“ begonnen. Ich bin weder berufen noch kompetent, die Frontstellungen nach­zuzeichnen, die sich in diesem Kampf im 19. Jahrhundert gebildet hatten, etwa zwischen Thibaut und Friedrich Carl von Savigny über die Frage eines Gesetzbuches oder eines weitgehend der Wissenschaft überantworteten Rechts in Fortentwicklung historischer Grundlagen, zwischen Romanisten und Germanisten, usw., doch ist ein Argument Thibauts erinnernswert, das auch am Ende des 20. und Beginn des 21. Jahrhunderts von Befürwortern einer europäischen Rechtsvereinheitlichung zitiert wird*5 : Die Vielfalt von Rechtsordnungen verursacht und erhöht Rechtsfindungskosten und andere Transaktionskosten, muß doch bei einem Fall, der Grenzen eines Rechtsgebiets überschreitet, zunächst einmal das sog. Kollisionsrecht oder internationale Privatrecht befragt werden, also Rechtsregeln, die uns sagen sollen, welches Recht im Falle einer Grenz­über­schreitung anwendbar ist. Das war zu Beginn des 19. Jahrhunderts von Land zu Land verschieden, zumeist ungeschrieben und eine Geheimwissenschaft weniger Spezialisten, und wenn man nach diesem unsicheren Regelwerk schließlich das anwendbare materielle Recht ermittelt hatte, war – dies der zweite Schritt der Rechtsfindung – auch dieses materielle Recht oft fremd und erklärungsbedürftig. Das – so Thibaut – „[störte] die friedliche Sicherheit des Bürgers tausendfältig und [füllte] nur den Juristen die Taschen“. Thibaut fuhr fort: „Die Einheit des Rechts würde dagegen den Weg des Bürgers von dem einen Lande in das andere ebnen und sicher machen und schlechte Anwälde würden nicht mehr Gelegenheit finden, bey dem Verkauf ihrer Rechtsgeheimnisse die armen Ausländer schändlich auszusaugen und zu mißhandeln.“ *6

Vermutlich wäre der Streit der Gelehrten um das Ob und Wie einer Vereinheitlichung des deutschen Privat­rechts ein solcher geblieben, wenn nicht zwei Entwicklungen als Treibsätze für die Ausbildung eines einheit­lichen Bürgerlichen Rechts gewirkt hätten: Zum einen fielen aufgrund des Deutschen Zollvereins 1833, insoweit vergleichbar der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft im Jahre 1957, die wichtigsten tarifären Hindernisse für den Handelsverkehr in Deutschland, zum anderen führte die Erfindung der Eisenbahn und der Bau eines Eisenbahnnetzes in Deutschland, für den der Name Friedrich Liszt steht, aber auch die Einführung des Morsetelegraphen ab 1836 zu einer enormen technischen Erleichterung für den Warenverkehr und der dafür erforderlichen Kommunikation der Akteure des Waren- und Rechts­verkehrs, vergleichbar den technischen Entwicklungen des Transport- und Kommunikationswesens in Europa nach dem 2. Weltkrieg. Die erwähnten Reibungsverluste durch Rechtsverschiedenheit wirkten sich deshalb zu­nehmend stärker aus und ließen den Ruf nach Reformen, nach Rechtsangleichung oder -vereinheitlichung, zu einer Forderung der „bürgerlichen Unternehmerklasse“ werden *7 , die sich natürlich auch schon damals besser Gehör verschaffen konnte als Rechtsprofessoren. Aber gerade auch die Wissenschaft machte mit vielfältigen Initiativen auf die Notwendigkeit einer Rechtsvereinheitlichung aufmerksam und unterbreitete Vorschläge, wie diese zu erreichen sei.

Ob die Organe des Deutschen Bundes die legislative Kompetenz zum Erlaß eines Zivilgesetzbuches hatten, war unsicher; jedenfalls ging nach 1848 die überwiegende Meinung wohl dahin, daß der Bund als solcher nicht zur Beschlußfassung über Fragen des Zivilrechts zuständig war. *8 Die sog. Paulskirchenverfassung von 1848 hatte freilich in ihrem Art. 64 eine Kompetenz der „Reichsgewalt“ u.a. auch für das „bürgerliche, Handels- und Wechselrecht“ vorgesehen, und tatsächlich hatte die Nationalversammlung 1848 auf der Grund­lage entsprechender Vorarbeiten zwischenstaatlicher Kommissionen bereits eine „Allgemeine Deutsche Wechsel­ordnung“ (WO) zur Vereinheitlichung des Wechselrechts erlassen – ein wirtschaftspolitisch wichtiges Gesetz, waren doch Wechsel damals die einzigen Instrumente des bargeldlosen Zahlungsverkehrs, und es bedarf keiner weiteren Ausführungen um zu erkennen, daß bei einem von einem Kaufmann in Karlsruhe ausgestellten, auf eine Berliner Bank gezogenen und an einen Stuttgarter Gläubiger begebenen Wechsel die Notwendigkeit, zunächst einmal zu prüfen, ob und inwieweit badisches, württembergisches oder preußisches Wechselrecht anwendbar war, und was diese Rechte jeweils beinhalteten, eine erhebliche Erschwerung des bargeldlosen Zahlungsverkehrs bedeutete.

Ob diese Wechselordnung als Reichsgesetz in Kraft treten konnte, ob also die Nationalversammlung eine entsprechende Gesetzgebungskompetenz hatte, ist streitig, wird heute aber wohl überwiegend verneint. Aber diese WO der Nationalversammlung war mit dem Scheitern dieses ersten gesamtdeutschen Parlamants nicht tot, sondern sie wurde in der Folge von allen deutschen Ländern sowie von Österreich und Liechtenstein aufgrund der jeweiligen eigenen Gesetzgebungskompetenz der Länder in einem Verfahren eingeführt, für das wir heute den Begriff der Parallelgesetzgebung verwenden. Gleiches geschah mit dem Handelsrecht: Auf der Grundlage von Arbeiten einer Kommission, eingesetzt von der Bundesversammlung, wurde ein Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch verfaßt und 1861 vom Bundestag „gutgehießen“ *9 , implementiert als Gesetz aber wurde es von den Einzelstaaten einschließlich Österreichs im Wege der Parallelgesetzgebung.

Noch weitergehend waren die Bemühungen um eine Vereinheitlichung des Obligationenrechts insgesamt, also des Regelwerks, das vertragliche Transaktionen über Güter im weitesten Sinne steuern und ihren Schutz gegen Beeinträchtigung oder Verlust erreichen soll. Diese Bemühungen hatten im sog. „Dresdener Entwurf“ von 1866 ihren Niederschlag gefunden, der dann von den Gesetzgebungsarbeiten für ein deutsches Bürger­liches Gesetzbuch überholt wurde, diese aber stark beeinflußte. Denn mit der Reichsgründung und der Reichs­verfassung war der Prozeß der Rechtsvereinheitlichung in eine neue Phase getreten, insbesondere, als im Jahre 1873 durch zwei Novellen zur Reichsverfassung, die zunächst nur eine Kompetenz für das Obligationenrecht enthalten hatte, eine Reichskompetenz für das gesamte Bürgerliche Recht geschaffen worden war, auf deren Grundlage dann das BGB als reichseinheitliches Gesetz erlassen werden konnte. *10

II. Internationale Vereinheitlichung des Privatrechts im 20. Jahrhundert

Das deutsche Bürgerliche Gesetzbuch ist also ein Einheitsrecht, und in Deutschland wurde damit nachvoll­zogen, was andere europäische Nationalstaaten schon früher erreicht hatten, Frankreich etwa mit dem Code Civil von 1804, Österreich mit Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch von 1811, und was in der Schweiz zeitlich in etwa parallel verwirklicht wurde. Die Entwicklung auf nationaler Ebene wiederholte sich im 20. Jahrhundert auf der internationalen Ebene: Wieder war es zunächst das Wechselrecht, um dessen internationale Vereinheitlichung man sich schon 1906 bemüht hatte und die man mit den Genfer Wechsel- und Schec­krechts­übereinkommen 1930/31 erreichte. Natürlich gab und gibt es keinen internationalen Gesetzgeber, der solch vereinheitlichtes Recht hätte in Kraft setzen können, sodaß auch hier der Weg der Parallelgesetz­gebung zu gehen war, d.h. die Staaten setzten die Genfer Wechsel- und Scheckgesetze als nationales Recht in Kraft, wozu sie sich freilich durch Unterzeichnung der völkerrechtlichen Konventionen, die diese Ein­heitsgesetze „trugen“, verpflichtet hatten. Auch die grenzüberschreitende Beförderung von Personen und Gütern wurde in einer Reihe von internationalen Abkommen vorallem in der ersten Hälfte des vergan­genen Jahrhunderts auf einheitsrechtliche Grundlagen gestellt – die Notwendigkeit, bei grenzüberschreitenden, viele Rechtsgebiete berührenden Beförderungen mit Eisenbahnen, Schiffen, Flugzeugen und Kraftfahrzeugen einheitliche Rechtsnormen anwenden zu können, liegt auf der Hand. Aus den 20er Jahren stammen auch die ersten Bemühungen um eine internationale Vereinheitlichung des Rechts des grenzüberschreitenden Waren­verkehrs, die zunächst im Jahre 1964 zu ersten einheitsrechtlichen Abkommen, den sog. Haager Kaufgesetzen geführt haben, und die schließlich 1980 in ein auf einer Vollversammlung der Vereinten Nationen verabschie­detes Einheitskaufrecht mündeten, das heute in 62 Staaten der Welt gilt. Für solche Rechtsverein­heit­lichungs­projekte auf internationaler Ebene gibt es sogar ein Beispiel für Berechnungen zur Höhe von Transaktions­kosten, die durch Rechtsvereinheitlichung eingespart werden können, also sozusagen die mög­liche Rechts­verein­heitlichungsdividende: Die – noch nicht in Kraft getretene – sog. Cape Town Convention aus dem Jahre 2001 *11 soll die Besicherung, d.h. die Verwendung als Kreditsicherheit, von Flugzeugen, Eisen­bahn­zügen und Weltraumfahrzeugen vereinheitlichen – eine auf der Hand liegende Notwendigkeit, da bei solchen Objekten national begrenzte und von Land zu Land unterschiedlich geregelte Sicherheiten im juristischen Sinne wenig Sicherheit im wirtschaftlichen Sinn bieten, was Kredite entsprechend verteuert. Zwei Ökonomen der INSEAD haben ausgerechnet, was eine weltweite Vereinheitlichung der Sicherheiten an Ersparnis bringen könnte, und sollen einen Betrag von 4 Milliarden $ pro Jahr errechnet haben, und die Export-Import Bank der Vereinigten Staaten soll kürzlich eine Herabsetzung ihrer Risikoprämien um ein Drittel für die Finanzie­rung von Flugzeugen für Käufer aus solchen Ländern in Aussicht gestellt haben, die die erwähnte Cape Town Convention in Kraft setzen. *12

III. Rechtsangleichung und -vereinheitlichung
in der Europäischen Gemeinschaft

Die Rechtsvereinheitlichung auf internationaler Ebene ist bisher nur sektoral erfolgt und wird wohl in der überschaubaren Zukunft sektoral bleiben, also durch Parallelgesetzgebung auf bestimmte Rechtsgebiete und Transaktionen wie Beförderung, Warenkauf, Factoring, Sicherungsgeschäfte u.ä, in völkerrechtlichen Verträgen vereinbart oder durch Modellgesetze veranlaßt, beschränkt bleiben. Für den durch die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, später Europäische Gemeinschaft geschaffenen und immer enger zusammen wachsenden Wirtschaftsraum könnte freilich anderes gelten, und ich habe ja bereits auf die Ähnlichkeit bestimmter Rahmenbedingungen hingewiesen: Wegfall tarifärer und nichttarifärer Handelshemmnisse im gemeinsamen Markt und Ausbau der Verkehrs- und Kommunikationsnetze haben in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Europa eine enorme Steigerung und enge Verflechtung des Wirtschaftsverkehrs bewirkt, für die Unterschiede der Rechtsordnungen zunehmend hinderlich wurden und noch sind. Dabei sind nicht nur die eingangs erwähnten Transaktionskosten, die als Hemmschuh wirken können, zu erinnern – auch hier gibt es schon Beispiele für die Berechnung einer Rechtsvereinheitlichungsdividende *13 –, sondern auch die volkswirtschaftlichen Kosten, die dadurch entstehen, daß von Transaktionen über die Grenze hinweg überhaupt abgesehen wird, weil die Rechtslage zu unsicher ist.

Für die Entwicklung in Europa muß man ähnlich wie in Deutschland im 19. Jahrhundert unterscheiden zwi­schen dem, was völkerrechtlich oder aufgrund der Kompetenz der Organe der Europäischen Gemein­schaften möglich ist – sicher oder umstritten –, und was bisher schon aufgrund mehr oder weniger privater Engagements, vorallem durch Initiativen von Rechtswissenschaftlern aus allen Ländern Europas geschieht, und ob bzw. wo sich diese Entwicklungslinien berühren oder gar konvergieren.

Die europäischen Staaten können natürlich Einheitsrecht in völkerrechtlichen Konventionen entweder nur zwischen EU-Staaten oder über den Kreis europäischer Staaten hinaus mit Drittstaaten vereinbaren und in Vollzug der daraus entstehenden völkerrechtlichen Verpflichtungen im Wege der Parallelgesetzgebung so einführen, wie im 19. Jahrhundert in den deutschen Ländern und Österreich das Allgemeine Handelsgesetz­buch oder die Wechselordnung eingeführt worden sind. Das ist vielfach geschehen, international und auf der Ebene der jetzigen EU-Staaten, doch handelte es sich stets um sektorale Vereinheitlichungen, etwa auf dem Gebiet der Gastwirtshaftung durch ein Abkommen der Staaten des Europarats aus dem Jahre 1962 oder auf dem Gebiet der Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen, das in der Praxis eng mit materiellrechtlichem Zivilrecht verzahnt ist, durch das sog. Brüsseler Abkommen von 1968 zwischen den damaligen EWG-Staaten, dem sich später im sog. Lugano-Abkommen andere Europäische Staaten angeschlossen hatten und das jetzt durch eine EG-Verordnung abgelöst worden ist. Schritte in Richtung auf ein europäisches Zivilgesetzbuch waren das aber nicht und sollten es auch nicht sein.

Die Organe der Europäischen Gemeinschaften können aufgrund des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft vom 24. März 1957 in der Fassung des Vertrages von Amsterdam vom 2.10.1997 Rechtsakte erlassen, die Rechtsangleichung oder –vereinheitlichung bewirken. Solche Rechtsakte sind z.Zt. vorallem Richt­linien – künftig sollten sie nach der vorläufig gescheiterten Europäischen Verfassung „Europäische Rahmen­­gesetze“ heißen – und Verordnungen – künftig „Europäische Gesetze“ –, die in einem hier nicht dar­stell­baren Verfahren von der Kommission im Zusammenwirken mit Ministerrat und Europäischem Parla­ment erarbeitet und erlassen werden. Verordnungen, die direkt geltendes Recht setzen (Art. 249 II EGV), sind auf zivilrechtlichem Gebiet noch seltene Ausnahme *14 und können hier vernachlässigt werden. Große Bedeutung haben dagegen Richtlinien, die freilich „umgesetzt“, d.h. vom nationalen Gesetzgeber in Kraft gesetzt werden müssen, um zwischen Privaten Rechtswirkung entfalten zu können, Art. 249 III EGV. Solche Richtlinien gibt es inzwischen in großer Zahl *15 , und sie haben erheblichen Einfluß auf die nationalen Zivil­rechte gehabt, etwa die Produkthaftungsrichtlinie von 1985, insbesondere aber die in großer Zahl verkündeten Verbraucherschutzrichtlinien, die zu erheblichen Veränderungen im deutschen Zivilrecht geführt haben.

IV. Rechtsangleichung durch Richtlinien?

1. Schwächen der Rechtsangleichung durch Richtlinien

Wird aus diesen Richtlinien ein einheitliches Europäisches Zivilrecht entstehen, werden sie sich, wie manch­mal bildlich beschrieben, wie Ölflecken ausbreiten und ineinanderfließen und eines Tages das europäische Rechtsmeer mit einer alles bedeckenden, wenn auch in vielen Farben schillernden Oberfläche überziehen? Sind Richtlinien überhaupt ein geeignetes Instrument für eine weitgehende Vereinheitlichung oder jedenfalls Angleichung des Zivilrechts in Europa? Wenn etwa in Erwägungsgründen für die sog. Verbrauchsgüterkauf­richtlinie ausgeführt wird, daß sie durch Rechtsangleichung des Kaufrechts grenzüberschreitende Käufe von Verbrauchern erleichtern soll, dann wird man an die oben zitierten Worte Thibauts erinnert und möchte diese Frage gern bejahen. Ich glaube aber, daß man sie mit Nein beantworten muß, und dieses Nein muß leider sehr entschieden ausfallen. Man mag schon zweifeln, ob – um ein Beispiel meines englischen Kollegen Sir Roy Goode aufzugreifen – seine Frau sich bei einem Besuch in Rom wirklich vom Kauf eines eleganten Kleides in der Via Condotti abgehalten wird, weil der Kaufvertrag italienischem und nicht englischem Kauf­recht untersteht, daß sie sich aber schneller verleiten läßt, seit das Kaufrecht angeglichen worden ist. *16 Jedenfalls sind Richtlinien als solche nach meinem Urteil ungeeignet, eine funktionsfähige Rechtsangleichung zu erreichen, u.z. aus den folgenden Gründen:

a) Die Kompetenzen für den Erlaß von Richtlinien sind nur punktuell; bei aller Unsicherheit über die Reichweite der Kompetenzen in einzelnen Bestimmungen des EGV fehlt es jedenfalls wohl an einer eindeutigen umfassenden Kompetenz für Rechtsangleichung durch Richtlinien auf dem Gebiet des Zivilrechts. Ob das künftig aufgrund einer Europäischen Verfassung anders sein wird, steht noch dahin.

b) Aus der punktuellen Natur der Richtlinien folgt ihr entscheidender Nachteil: Sie sind nicht aufeinander abgestimmt, deshalb inkohärent und oft sogar inkonsistent. Selbst Schlüsselbegriffe wie der des Verbrauchers sind zunächst unterschiedlich definiert worden. Richtlinien sind – m.a.W. – handwerklich schlecht, was auch damit zusammenhängt, daß es keine einem Gesetzgebungs­ministerium wie in Deutschland das Bundes­ministerium der Justiz, das auf Konsistenz der Gesetzgebung zu achten hat, vergleichbare Einrichtung gibt; der juristische Dienst der Kommission ist viel zu schwach besetzt, um diese Aufgabe effektiv zu leisten. Inkon­sistenz wird nicht nur durch unterschiedliche Zielsetzungen einzelner Richtlinien bewirkt, sondern auch dadurch, daß die für die Ausarbeitung von Entwürfen zuständigen Referenten aus verschiedenen Rechts­kreisen kommen und zumeist die vertrauten Strukturen und Zentralbegriffe des eigenen Heimatrechts bewußt oder unbewußt bevorzugen, was dann später im Rechtsetzungsverfahren oft nicht oder jedenfalls nicht mehr vollständig korrigiert werden kann, zumal es ja auch an europaeinheitlichen Grundstrukturen und Zentral­begriffen für ein Zivilrecht, auf die man zurückgreifen könnte, fehlt.

c) Schließlich werden Richtlinien bei ihrer Umsetzung in nationales Recht oft, ja fast immer den jeweiligen nationalen juristischen Begriffen und Konzeptionen angepaßt und können dabei ihre Bedeutung verändern; die nicht seltenen Verfahren, die die Kommission gegen Mitgliedsländer wegen inkorrekter Umsetzung von Richtlinien anstrengt, sind ein Beleg hierfür. Auch weichen die nationalen Gesetzgeber bei Richtlinien, die nur Mindestvorgaben machen, oft voneinander ab, so daß etwa ein Verbraucher im Ergebnis in Portugal, England oder Frankreich doch wieder ganz andere Rechte, etwa im Falle einer mangelhaften Kaufsache, hat als in Deutschland. *17

2. Schaffung eines Referenzrahmens

Die Nachteile der inkohärenten Entwicklung des Europäischen Gemeinschaftsprivatrechts sind bekannt. So hatte das Europäische Parlament bereits in einem Bericht vom 6.11.2001 ganz im Geiste Thibauts beklagt: „Die gegenwärtige Topographie, die die Wirtschaftsteilnehmer vorfinden, wenn sie grenzüberschreitend tätig werden wollen, ist gekennzeichnet durch das große Meer des Internationalen Privatrechts, in dem sich einige größere oder kleinere Inseln des europäischen Gemeinschaftsrechts befinden. Sobald die Rechtsan­wender die sicheren Häfen verlassen, drohen ihnen entweder die Untiefen der ungelösten Konflikte der ein­zelnen Privatrechtsordnungen oder die mangelnde Abstimmung von Europarecht und Internationalem Privarecht. An manchen Stellen wiederum droht die offene See völlig zu verlanden, denn das nur an einzelnen Konfliktsitutationen ausgerichtete Richtlinienrecht zerstört langfristig die innere Ausgewogenheit der natio­nalen Zivilrechtssysteme“. *18 Die Organe der EG wollen diesen erkannten Mangel jetzt beheben: Die Kom­mission hat, ausgelöst durch die vom Europäischen Rat, d.h. den vereinigten Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten 1999 in Tampere an die Kommission gerichteten Aufforderung zur Schaffung eines europäischen Rechtsraums, und als Ergebnis eines mit einer „Mitteilung zum Europäischen Privatrecht“ vom 11.7.2001 begonnen Konsultationsprozesses am 12. Februar 2003 eine Mitteilung an den Rat und das Europäische Parlament versandt über einen Aktionsplan für „Ein kohärentes Europäisches Vertragsrecht“. *19 Dabei geht es vorallem darum, die berichteten Unstimmigkeiten im Gemeinschaftsprivatrecht, also im vorallem durch Richtlinien geschaffenen acquis communitaire, zu beseitigen, freilich (noch) nicht durch die Schaffung eines Europäischen Zivilgesetzbuchs, sondern durch Ausarbeitung eines Referenzrahmens einheit­licher Grundsätze und Zentralbegriffe im Vertragsrecht. Der Beschränkung auf das Vertragsrecht hat das Europäische Parlament in seiner Stellungnahme vom 9. Juli 2003 *20 widersprochen und, seine früheren weiter­­gehenden Forderungen zur Schaffung eines Europäischen Zivilgesetzbuches aufnehmend *21 , eine Aus­weitung des Referenzrahmens auf weitere Gebiete des Zivilrechts, gefordert. Vereinfacht möchte das Parlament Grundstrukturen und Kernbegriffe eines gemeineuropäischen Obligationenrechts einschließlich bestimmter Gebiete des Sachenrechts geschaffen und bereits ab 2006 durch „Europäische Gesetzgebung zur Anwendung der gemeinsamen Rechtsgrundsätze und -terminologie“ in Kraft gesetzt sehen.

Freilich ist noch nicht geklärt, ob und wie dieser „Referenzrahmen“, wie weit auch immer er gespannt sein wird, verbindlich werden soll. *22

V. Der Beitrag der Rechtswissenschaft

Neben und parallel zu diesen Entwicklungen auf der Ebene der für europäische Rechtsetzung zuständigen Organe gab und gibt es aber eine Vielzahl von privaten, teilweise auch von Organen der EG, insbesondere dem Parlament vorallem moralisch unterstützten Gruppen von Rechtswissenschaftlern, die Entwürfe für ein Europäisches Schuldrecht, ein Europäisches Vertragsrecht, ein Europäisches Deliktsrecht, kurz für weite Bereiche eines zu vereinheitlichenden Zivilrecht erarbeiten oder schon vorgelegt haben. *23 Besondere Bedeu­tung haben die von einer Gruppe um den Kopenhagener Professor für Handelsrecht Ole Lando erarbeiteten Prinzipien eines Europäischen Vertragsrechts, die „European Principles of Contract Law“, die gleichsam einen allgemeinen Teil eines europäischen Vertragsrechts in gesetzesförmige Regeln fassen und – mit Ein­schrän­kungen – mit dem erwähnten „Dresdener Entwurf“ aus dem Jahre 1866 vergleichbar sind. Zu nennen sind ferner Secola, die Society of European Contract Law, von dem Erlanger Kollegen Grundmann gegründet, und vorallem die von Christian von Bar, Osnabrück, initiierte Study Group for a European Civil Code, der etwa 60 Wissenschaftler aus allen EG-Mitgliedsstaaten und einigen Beitrittsstaaten angehören – aus Estland wirkt der bekannte Rechtswissenschaftler Professor Paul Varul von der Universität Tartu mit –, und deren Arbeit durch Zuwendungen vieler Sponsoren, insbesondere nationaler Stiftungen, ermöglicht worden ist.

Zwischen dem erwähnten Aktionsplan der Europäischen Kommission und diesen Gruppen gibt es nun einen z.Zt.sehr aktuellen Zusammenhang: Der Aktionsplan sieht vor, daß der erwähnte Referenzrahmen bis 2008 geschaffen werden soll, und daß die Grundlage dafür durch privat erarbeitete Entwürfe zu legen und diese Arbeiten und aus dem sog. 6th Research Framework Programme – kurz FP6 – zu finanzieren sind. Die inte­ressierten Gruppen hatten dafür in einer Art Ausschreibungsverfahren ihre Vorschläge bis Mitte Dezember einzureichen, und 2004 soll entschieden werden, wer den Zuschlag bekommt – und dann entsprechend viel Geld aus dem erwähnten Programm erwarten kann, sodaß das Kürzel FP6 inzwischen eine die Arbeiten dieser Gruppen beflügelnde, aber leider auch übermäßig bestimmende Zauberformel geworden ist.

VII. Auf dem Weg zu einem Eurocode?

Ist damit der Weg zu einem europäischen wenn schon nicht umfassenden Zivilrecht so doch Obligationenrecht oder – noch enger – jedenfalls Europäischem Vertragsrecht und damit jedenfalls zu kleinen Freudenfeuern etwa im Jahre 2008 vorgezeichnet? Ich wage zu prophezeien – für manche als Befürchtung, für viele als Erleichterung –, daß dies wenig wahrscheinlich ist. Der Vergleich mit der skizzierten Geschichte der Rechts­vereinheitlichung in Deutschland im 19. Jahrhundert und ihren Entstehungsbedingungen soll meine Skepsis erklären:

1. Die Kompetenzfrage

Zunächst ist – wie in Deutschland bis zur Bismarck‘schen Reichsverfassung – die Kompetenzfrage noch unsicher. Ob die angestrebte Europäische Verfassung wirklich eine zureichende Kompetenz enthalten wird oder ob andere Wege begangen werden müssen, um das Ergebnis des Aktionsplans zu einem Europäischen Zivilrecht werden zu lassen, steht noch dahin. Freilich gilt auch hier, daß dort, wo ein Wille ist, auch ein Weg zu einer Kompetenzgrundlage gefunden wird.

2. Vom Beruf unserer Zeit für eine europäische Kodifikation

Größere Bedenken habe ich, ob wir wirklich schon in der Lage sind, ein Europäisches Zivilrecht oder jeden­falls Teile davon, etwa ein Europäisches Vertragsrecht zu kodifizieren. Meine Bedenken speisen sich nicht zuletzt aus den Erfahrungen der Mitarbeit in einigen der erwähnten Gruppen, obwohl diese Unter­nehmungen vergleichsweise einfach, weil allein wisenschaftlichen Idealen verpflichtet und noch frei von Einflüssen von Interessenten- und Lobbyistengruppen sind, die sicher dann auf den Plan treten werden, wenn konkrete Vorarbeiten für eine Europäische Kodifikation beginnen würden.

Bedenken bestehen zunächst gegen die Idee einer Kodifizierung des Rechts überhaupt, und vieles von dem, was von Savigny in seiner Entgegnung auf Thibaut an Skepsis und Einwendungen gegen den „Beruf unsrer Zeit für Gesetzgebung“ formuliert hatte *24 , hat auf europäischer Ebene heute eher noch mehr Gültigkeit und Überzeugungskraft: Haben wir überhaupt die Fähigkeit, „ein löbliches Gesetzbuch hervorzubringen“, wo doch unsere Auffassungen in vielen Fragen weit auseinandergehen? Ist nicht das Fehlen einer gemeinsamen Sprache, insbesondere einer gemeinsamen Rechtssprache, ein unüberwindbares Hindernis? *25 Und bedeutet Kodifikation nicht immer ein Einfrieren geschichtlich bedingter Lösungen, die sich sehr schnell – wie die Geschichte unseres BGB zeigt – als falsch oder lückenhaft erweisen können, und ein Festschreiben von Überzeugungen, die sich ändern können? Jedenfalls unseren angelsächsischen Freunden wird die Idee einer Europäischen Kodifikation als solcher nur schwer nahezubringen sein, und es nicht verwunderlich, daß in der erwähnten Study Group unsere englischen Kollegen darauf dringen, das für sie anstößige Wort „European Civil Code“ zu ersetzen durch „Restatement of Principles“ oder ähnliches.

Bedenken, ja leidenschaftlicher Widerstand aber sind – anders als bei der Rechtsvereinheitlichung im Deutschen Reich – gegen die Aussicht zu erwarten, das eigene nationale Recht zugunsten eines europäischen Rechts aufgeben zu müssen. Dieser Widerstand ist zunächst ein wenig eigennützig und vorallem – wie bei jeder Rechtsreform – von den Berufsgruppen zu erwarten, die einen Verlust an Herrschaftswissen befürchten; die jüngst in Deutschland verabschiedete Schuldrechtsreform ist ein Beispiel für solche Widerstände. Sir Roy Goode hat diese Motivlage wie folgt formuliert: „Every scholar, every practitioner, every judge would have to be retrained [...], and would have to be prepared to surrender a substantial slice of hard-won knowledge and experience and return to the law schools; good luck for the law schools, of course, but at what cost to national legal systems [...]“. *26 Oft geht es den juristischen Fachgelehrten auch um Bewahrung bestimmter dogmatischer Grundsätze des je eigenen Rechts, die zunächst nur bestimmte Sachlösungen verschlüsseln sollten, im Laufe ihrer Geltungszeit aber den Charakter von Glaubenssätzen angenommen haben und nun mit fast religiösem Eifer so verteidigt werden wie vor 500 Jahren die Ansicht, daß die Sonne sich um die Erde drehe; ein Beispiel dafür ist die in unserer Study Group im Dezember zur Entscheidung anstehende Frage, ob die Übereignung kausal mit dem Grundgeschäft oder getrennt, vielleicht sogar unabhängig (abstrakt) vom Grundgeschäft erfolgen soll.

Aber das Beharren auf dem eigenen Recht hat auch tiefere, irrationale Gründe nicht nur für Fachjuristen, sehen doch viele Menschen ihr Recht, ihre Kodifikation als Teil ihrer nationalen Identität, besonders in Ländern mit alten Gesetzbüchern, die in einer bürgernahen Sprache geschrieben sind wie in Frankreich der Code civile in der eleganten Prosa des Portalis. Von Stendahl wird bekanntlich berichtet, er habe oft im Code civil gelesen pour prendre le ton; man wird sich zwar schwer vorstellen können, daß Gerhard Hauptmann oder Thomas Mann sich durch Lektüre des BGB auf ihr dichterisches Schaffen eingestimmt haben könnten, aber ich glaube gleichwohl annehmen zu dürfen, daß auch das in einer eher kalten und abweisenden Fachsprache geschriebene deutsche BGB inzwischen als Teil unseres kulturellen Erbes gesehen wird, den man nicht leichthin aufgeben möchte. Und wenn ein französischer Autor die Rechtsvereinheitlicher (in Brüssel) als uprooted civil servants, also „vaterlandslose Gesellen“ beschimpft, die nicht einmal ihr eigenes Recht richtig verstünden, und die Idee eines Europäischen Zivilgesetzbuches schlicht als non-sense be­zeic­hnet *27 , dann ist zu erahnen, welche Formen die Ablehnung eines europäischen Zivilgesetzbuches an­nehmen könnte, wenn es denn konkrete Gestalt gewinnen und damit erst von vielen Menschen richtig wahrgenommen werden sollte. *28 Ein wenig gleicht diese ablehnende Einstellung zur Rechtsvereinheitlichung den zwischen Skepsis und Befürwortung schwankenden Ansichten zur Währungsunion, also den Diskussionen über die Aufgabe des vertrauten Geldes zugunsten einer Währung, von der schwer abzuschätzen war – und ist –, wohin die Reise gehen wird. Andere Autoren haben in einer oft gebrauchten Metapher darauf hingewiesen, daß das eigene Recht wie ein altes Haus sei, in dem man sich einigermaßen kommod eingerichtet habe, obwohl es reparaturbedürftig und schwer zu unterhalten ist, das seinen Bewohnern aber vertraut sei und das man deshalb eher unter Denkmalschutz gestellt als durch ein modernes, aber fremdes Gebäude ersetzt sehen möchte. *29

Entscheidend aber – und damit komme ich zum Schluß – scheint mir heute noch gegen den Erfolg einer umfassenden Rechtsvereinheitlichung in Gesetzesform das bereits genannte Argument zu sprechen, daß wir in Europa noch keine gemeinsame Rechtssprache haben, wobei die Betonung auf Recht liegt. Darin ist ein entscheidender Unterschied zur deutschen Situation im 19. Jahrhundert zu sehen, wo die Verschiedenheiten in den Partikularrechten doch zu überbrücken waren durch die allen deutschen Juristen gemeinsame Aus­bildung im römischen Recht und auch in der deutschen Privatrechtsgeschichte, eine Ausbildung, die gleichsam einen allen gemeinsamen Kanon von Schlüsselbegriffen und Grundstrukturen vermittelt hatte, der Verständigung über Grenzen der Partikularrechtsordnungen hinweg ermöglichte und erleichterte: Man wußte, worüber man redete, auch wenn die Regelungen im einzelnen verschieden waren, so wie Juristen in England und Schottland trotz Unterschieden in ihren Rechtsordnungen – oder Juristen in den USA mit seinen 50 verschiedenen Zivilrechtsordnungen, darunter einem Abkömmling des Code Civile – aufgrund einer durch gleiche Ausbildungsinhalte geschaffenen gemeinsamen Rechtssprache ohne Verständnisverluste so kom­munizieren können, als hätten sie ein einheitliches Recht. M.a.W.: Die Schulung im römischen Recht hatte den Referenzrahmen geschaffen, den die Kommission mit ihrem Aktionsplan erarbeiten will. Noch fehlt er uns aber in Europa, und es ist dringend zu hoffen, daß dieses Projekt gelingt. Freilich darf dieser Referenz­rahmen nicht Papier bleiben, und so wie in der Ausbildung im Römischen Recht im 19. Jahrhundert in Deutschland muß er im Rechtsunterricht zugrunde gelegt werden, möglichst schon vor seiner endgültigen Verabschiedung und „Umsetzung“ in welcher Form auch immer. Ich sehe es deshalb als vordringliches An­liegen, zunächst im Unterricht in den Rechtsfakultäten Europas und im Diskurs mit den für die Schaffung des erwähnten Referenzrahmens zuständigen Gruppen und Organen der Gemeinschaft eine gemeinsame Rechtssprache auf der Grundlage der Rechtsvergleichung und ihrer bisherigen Ergebnisse auszubilden. Tartu und die Kompetenz seiner weltoffenen Rechtswissenschaftlichen Fakultät, aber auch die breite rechts­ver­gleichende Grundlage des neuen estnischen Privatrechts, insbesondere des Obligationenrechts, bieten dazu die besten Voraussetzungen.

 

PDF

pp.24-31